Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
Vom Netzwerk:
England gegangen ist. Wie zu Hause bestellt er ein Tolly Ale. Doch das Englische beschränkt sich im Late drink auf Namen und Tartan. So wird ein deutsches Bier daraus, wie früher im Späten Schoppen , ein Vergangenheit und Gegenwart verbindendes Bier, ungewohnt kalt für seinen englischen Gewohnheiten angepaßten Magen. Wieso gibt es zu sämtlichen Pfannengerichten Pommes frites? Ist das die neue Form im klassischen Kartoffelland? Es wird die rationellste sein: raus aus der Schachtel, in Öl geschmissen und auf den Tisch.
    Während der Bestellung erkundigt er sich bei dem Blassen mit dem Schottenschiffchen: Das Lokal ist nach Besitzerwechsel umgebaut worden; der neue Chef habe viel reingesteckt, um aus der muffigen Wirtschaft ein modernes Spezialitätenrestaurant zu machen. Von früheren Stammgästen sei nichts bekannt; der Late drink dürfte für die Kunden der ehemaligen Kneipe wohl zu fein und zu teuer sein, fügen Blick und Unterton hinzu. Ähnliche Standesunterschiede werden auch auf die Frage nach Kathi deutlich. Eine alte und rundliche Bedienung hält der Blasse mit dem Schottenschiffchen neben seiner schwungvollen Eleganz für untragbar, läßt sich aber immerhin herbei, in der Küche nachfragen zu lassen, wo es noch jemand von der alten Belegschaft gebe.
    Für einen, der Männchen malt und Geschichten dazu erfindet, ist so ein Mann Gold. Diese um weltmännische Gelassenheit bemühte Mimik unter dem Schottenschiffchen — irgendwann, irgendwo würde die Type vorkommen.
    Lukas bezog seinen Lieblingswinkel: Er trat neben sich, sah sich sitzen an der wuchtigen Theke bei dem Blassen mit dem Schottenschiffchen und ihm zuhören wie ein Geschäftsreisender, der Ansprache sucht, weil er nicht weiß, wohin mit sich und mit dem Abend in der fremden Stadt. Und er sah sich drüben sitzen in der Ecke an Huberts Tisch mit den Freunden, als Junggeselle, der auch nicht weiß, wohin mit sich und dem Abend in der eigenen Stadt.
    Er ließ sich ein Telefonbuch geben und blätterte die alte Clique zusammen. Von manchen wußte er nur die Vornamen, von Peter und Ines oder von den beiden Wolfgängen, die sich als Journalisten jedoch über die Zeitung ermitteln ließen. Bei Daniela nutzte es ihm gar nichts, daß er ihren Nachnamen kannte, er fand sie nicht. Wahrscheinlich hatte sie wieder geheiratet. Daß Hubert nicht drinnen stand, war klar, Hubert hatte nie ein Telefon besessen und sich darin sicher auch nicht geändert. Dafür war Pauli gleich mit vier Nummern vertreten. Unter dem fettgedruckten Firmennamen Ihr Einrichtungshaus standen Geschäft, Werkstatt, Lager und Privat gesondert aufgeführt.
    Ausgerechnet Pauli! Damals hatte er einen kleinen Antiquitätenhandel in einem Hinterhaus. Die Suche nach Alma und Gustl (Yogatanten, bei denen er gewohnt und sein Tschakra gelockert hatte) scheiterte ebenso an den Nachnamen wie die nach den Vermietern mit der zugänglichen Tochter. Renate hieß sie.
    Sein letztes Domizil fand er dagegen auf Anhieb. Am Ende der Müller-Seiten: Müller-Passavant, Alfredo, und noch die alte Adresse. Und er sah sich wieder als akademischen Bewacher der Luxusvilla; der sich klischeegerecht in die gnädige Frau verliebt. Lilly — ein Stück Schicksal, ein schönes, verwöhntes; hochkarätiger Stein des Anstoßes für seinen Ortswechsel damals.
    Kein Selbstmitleid! Erinnerungen soll man trocken lagern. Die magere Ausbeute auf der Papierserviette festgehalten, klappte Lukas das Buch zu, bezahlte zwei Bier, ein Pfeffersteak mit Salat (ohne Pommes frites), ein Brot und wollte gerade gehen, als aus der Küche ein Zettel gebracht wurde: Kathis Adresse. Er stieß die Arme in die Ärmel seines Mantels und verließ, um baldige Wiederbeehrung gebeten, das Lokal. Es war spürbar kühler.
    Einen anderen Weg hat er eingeschlagen, einen Umweg über den Kilianstorplatz ohne Kilianstor, er hat ja Zeit. Durch Zufall entdeckt er dabei die Straße, in der Kathi wohnt, muß wieder die Betonschneise unterqueren, kommt schließlich in eine Geschäftsstraße mit Läden, an die er sich nicht erinnern kann, durchsichtig und ausgelegt. Vor einem Textilhaus, dessen taghell erleuchtete Fenster er nur blinzelnd betrachten kann, bittet einer um Orientierungshilfe. »Entschuldigen Sie, ich bin selbst fremd«, hört er sich entschuldigen und schreitet verdutzt die Front der Schaufensterpuppen in Freizeitkleidung ab. An einer Ecke albern rauchende Halbwüchsige. Mit Zigaretten gelingen ihnen Erwachsenenposen. Während Lukas in einer

Weitere Kostenlose Bücher