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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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Der Erzeuger hockte mit wippendem Knie da und rauchte, und sein Freund hatte schon damals die Worte zu finden, gegenüber einem Paar, das kerzengerade auf seinem Sofa saß, zu Füßen des Mannes ein Dackel. Ich hatte vorher nur kurz angerufen und gesagt, wir müssten sie sprechen, und sie waren von der Apotheke nach Hause geeilt. Nun rechneten sie aus ihrer Sicht mit dem Schlimmsten – dem Schulversagen einer der Töchter oder gar beider –, das wir beauftragt wären, schonend beizubringen. Doch die Hände sprachen eine andere Sprache, besonders die der Mutter mit weißen Knöcheln, aber auch die ihres Mannes, der pausenlos den Hund kraulte, bis ich die Dinge endlich in einem einzigen Satz vorbrachte und die Hand im Hundefell erst innehielt, um sich dann hineinzukrampfen oder festzuhalten an dem schon betagten Dackel, für den ja (wie für jedes Haustier) galt, dass der einzige Schmerz, den er einem je zufügen kann, sein Tod ist, während die jüngere der Töchter gerade mit neuem Leben diesem Schmerz zugefügt hatte, mehr aber noch der Überbringer der Nachricht, der klar auf der Verursacherseite stand. Es tue uns sehr leid, sagte ich abschließend, dann folgte ein entsetzliches Schweigen und irgendwann der Satz, wir sollten jetzt gehen. Und so ging es per Anhalter wieder zurück zum Bodensee, und es gab nur noch ein paar meiner Roth-Händle, weil alle Revals geraucht waren; die letzte teilten wir, filmreif, auf der Sitzbank eines LKW der Firma Schiesser eingeklemmt neben dem Fahrer – und im Augenblick steigt er mir gerade wieder in die Nase, dieser alte, würzige Tabakgeruch nach etwas unfassbar Jungem.

3
    Der Sohn hat einen neuen Laptop, viel besser als der seines Vaters, und er hat sich auch gleich ein neues Spiel besorgt, Gothic 3 , ein Spiel, für das man ein ganzes Handbuch benötigt, um am Ende als eine Art Ritter gegen Monster und Ritter zweiter Klasse mit Erfolg in die Schlacht ziehen zu können; seitdem er sich mit Gothic 3 befasst, haben wir nur wenige Sätze gewechselt. Das Spiel lässt ihn nicht los, wie zuvor schon andere Spiele, etwa Counterstrike Source , die Blutversion. Der Sohn ist achtzehn und macht im nächsten Jahr Abitur, sein Abitur wird viel besser als das des Vaters, trotz Gothic 3 , das er mit einem Freund oft bis tief in die Nacht spielt. Und er weiß auch auf seine Weise mehr, als wir damals wussten, es bedeutet ihm nur weniger; irgendetwas macht er in seinem jungen Leben also richtig, richtiger als sein Vater in diesen Jahren, auch wenn der oft glaubt, der Sohn würde mit solchen Kindereien vor dem Bildschirm alles falsch machen. M. lebte im selben Alter auf andere Weise in den Tag; seine Zukunft, das war die bevorstehende Nacht, das nächste Päckchen Zigaretten, die nächste Seite in einem Buch. Er war schon mit siebzehn ein Geistesvagabund, ein Verführer, der auch sich selbst verführt hat, ein Herrenloser – zu seinen Leibund Magenbüchern, die auch meine Leib- und Magenbücher wurden, zählten Malapartes Die Haut (das der Sohn gerade liest, beglückend für den Vater) und Joseph Roths Radetzkymarsch und sein Stummer Prophet , Romane, die vom Verlust aller Wurzeln und Bindungen handeln, aber auch, wie bei Malaparte in Gestalt des Colonel Hamilton, von der Suche nach einer Wurzel im Humanismus.
    Herrenlos – das Wort, das auf beide Freunde zutrifft, auch wenn der eine Familie und eine gewisse Bekanntheit hat, und der andere lange Zeit Angestellter war; es bleibt etwas Asoziales trotz dieser Bindungen, mehr Treue zu sich selbst als gegenüber dem anderen. Bei unserem vorletzten Gespräch sagte M. auf einmal – er hatte gegen Mittag angerufen, um mir für Büchersendungen zu danken, in die Klinik, in der er mit einem Lungenemphysem seinem Ende noch einmal ausgewichen war –, eigentlich würde er mich gern sehen, am liebsten gleich. Er war noch nicht wieder ganz bei Stimme, alles klang leiser und weicher als sonst – und überhaupt hätte er mich gern öfter gesehen, sagte er noch, und ich gab dieses Gefühl zurück, und beide mussten wir damit fertig werden, dass wir wohl etwas versäumt hatten und schon wieder im Begriff waren zu versäumen. Denn ich hätte mich ja in den nächsten Zug setzen können, und er hätte mich vier Stunden später abgeholt, und wir wären in seinem Auto, einem kleinen verwahrlosten Japaner, eine Nacht durch Berlin gefahren und hätten morgens noch im Bahnhof Zoo gefrühstückt. Aber wir haben es bei der Idee von dieser Nacht belassen (und die

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