Eros und Asche
Mücke, und der schreibende Freund auf eins der letzten Fotos sieht, das die Gefährtin aufgenommen hat. M. lacht da mit schrägem Kopf in die Sonne, fast ein Grinsen, am Mund die Zigarette mit der Spitze, die das Rauchen schonender macht, aber dem Rauchenden etwas Zerbrechliches gibt, die zwei Züge des Lasters vereint, den starken und den schwachen. So und nicht anders sah er dem Ende entgegen, unerträglich wie das Sonnenlicht und doch auszuhalten, die Lippen an dem Zigarettenvorsatz, im Ohr die Spitze der Musik. I am a bird, singt der Knabe im Männerleib, nicht wissend, wo er hingehört, und wer er ist. Glockenhell erzählt er vom Elend des Nichtankommens bei sich, und von dem kranken Glück, in dieser Schwebe zu zerfließen – Should I call a doctor? –, einem Glück, das Michael so lange wie möglich ausgekostet hatte, bis er dann doch noch ankam, in einem erbärmlichen, aber wahren Körper, Resten einer zerstörten Schönheit, die so männlich wie weiblich war, und von der sich viele haben anstecken lassen, auch der Freund. One day I’ll grow up, I’ll be a beautiful girl, but for today I am a boy. Er war dieser Junge, der ein anderer sein wollte, lebenslang, und ganz am Schluss, als er nur noch Haut und Knochen war wie auf dem Foto, kam das andere zum Vorschein: der Mensch als sein eigenes, rückhaltlos ehrliches Werk, das einen Freund in die Knie zwingt, wie jede sich selbst zerstörende Schöpfung, die ohne Ergriffenheit verloren wäre.
Wer übrigbleibt, kniet und weint, das eine symbolisch, das andere tatsächlich. Und ein einziges Mal nur hat der Übriggebliebene den anderen ergriffen gesehen, am Rande des Weinens, so gut wie auf den Knien, in einem schweizer Krankenhaus, Abteilung Frauen, nachdem die eine der Schwestern, die mit in dem römischen Kloster waren, ihr Kind verloren hatte. Der Nichtvater war von Karlsruhe herangeeilt, er kam mit einer frischen Glatze, selbstrasiert, ohne Rücksicht auf die Kopfhaut, und nachdem wir das Krankenzimmer verlassen hatten und er mir stumm einen Artikel über den Blumenaufruhr von San Francisco hinhielt – ohne Haar, um darin irgendwelche Blumen zu tragen –, sah ich Tränen in seinen Augen, und der kahle Schädel hatte etwas Vernarbtes und zugleich Kindliches in meiner Erinnerung. Aber wer weinte da fast, der Liebende oder der Romantiker? Weder noch. Es waren die Tränen eines früh Verlorenen, die ihm und mir beweisen sollten, dass sein Schmerz über das Verlorene (das verlorene Kind in ihm) keine Illusion war. Und er vergoss sie in dem Krankenhausflur ja auch nicht, sie waren kein Signal der Einwilligung, für Sekunden zu tun, was Kinder eben gelegentlich tun, kein Geschenk an sich selbst, sondern nur Zeichen dafür, dass er in Dornen gegriffen hatte. Es war die Trauer, die sein Sänger besingt – dem ich immer noch zuhöre, die Fernbedienung in der Hand, während ich mit der anderen schreibe und beide Augen wieder mitmachen, so, wie es sein sollte. Sie sehen jede Silbe, wie gewaschen von der Sorte Tränen, die ein Geschenk sind, das einem nur das Erinnern geben kann – noch einmal an die hellen Tage und Nächte der endenden Schulzeit, als unsere Freundschaft am spürbarsten war, schon mit dem ersten Wort beim Aufstehen und abends mit dem letzten.
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