Erstes Erlebnis: Vier Geschichten aus Kinderland
Knaben so auf, daß er sich an den Baum lehnen muß, um nicht zu schwanken.
Wie gebannt starrt er hinauf. Die weißen Gardinen schaukeln, unruhig im Luftzug spielend, aus dem Dunkel heraus, scheinen bald tiefgolden in der innern Strahlung des warmen Lampenlichtes, baldsilbern, wenn sie vorwehend an den Mondstreif rühren, der zwischen den runden Blättern durchsickert und flirrt. Und die nach innen gewandte Scheibe spiegelt dies bewegte Fließen von Schatten und Licht als loses Gewebe von lichten Reflexen. Aber dem Fiebernden, der jetzt mit heißen Augen vom Schattendunkel nach oben starrt, scheinen dunkle Runen des Geschehens auf die blanke Tafel geschrieben zu sein. Das Fließen der Schatten, das silbrige Glänzen, das wie zarter Rauch über die blanke Fläche weht, diese flüchtigen Wahrnehmungen füllt seine Phantasie zu zuckenden Bildern. Er sieht sie, Margot, hoch und schön, das Haar, oh, das wilde, blonde Haar, gelöst, seine eigene Unruhe im Blut auf- und niedergehn im Zimmer, sieht sie fiebernd in der Schwüle ihrer Leidenschaft, schluchzend im Zorn. Wie durch Glas sieht er jetzt durch die überhohen Wände die kleinsten ihrer Bewegungen, das Erbeben ihrer Hände, das Niedersinken auf einen Sessel und das stumme, verzweifelte Hinstarren in den sternenweißen Himmel. Er glaubt sogar, da die Scheibe für einen Augenblick sich erhellt, ihr Gesicht zu erkennen, das sie ängstlich heranbeugt, um in den schlummernden Garten niederzusehen, nach ihm zu sehen. Und da überwältigt ihn sein wildes Gefühl, verhalten unddoch drängend, ruft er ihren Namen hinauf: Margot! ... Margot!
War das nicht ein Huschen wie ein Schleier, weiß und schnell über die blanke Fläche? Deutlich glaubt er es gesehen zu haben. Er horcht. Aber nichts regt sich. Rückwärts schwillt der leise Atem der schlaftrunkenen Bäume und das seidige Knistern im Grase leise an vom trägen Wind, wird wieder ferner und wieder lauter, eine warme Woge, die leise verrauscht. Ruhig atmet die Nacht, und stumm steht das Fenster, ein silberner Rahmen um ein abgedunkeltes Bild. Hat sie ihn nicht gehört? Oder will sie ihn nicht mehr hören?
Dieser zitternde Glanz um das Fenster macht ihn ganz wirr. Sein Herz schlägt das Verlangen hart aus der Brust heraus gegen die Rinde des Baumes, die zu zittern scheint vor so ungestümer Leidenschaft. Er weiß nur, daß er sie jetzt sehen, jetzt sprechen muß, und sollte er ihren Namen so rufen, daß die Leute kämen und andere vom Schlafe erwachten. Er fühlt jetzt, daß etwas geschehen müsse, das Unsinnigste scheint ihm erwünscht, wie im Traum alle Dinge leicht und erreichbar. Jetzt, da sein Blick noch einmal emporgreift zum Fenster, sieht er mit einemmal den hingelehnten Baum seinen Ast hinstrecken wie einen Wegweiser, und schon greift dieHand wilder um den Stamm. Plötzlich ist ihm alles klar: er muß da hinauf – der Stamm ist zwar breit, fühlt sich aber weich und geschmeidig an – und von oben sie rufen, eine Spanne nur von ihrem Fenster; dort, ihr nahe, will er dann mit ihr sprechen und nicht eher wieder niedersteigen, ehe sie ihm nicht vergeben hat. Keine Sekunde überlegt er, nur das Fenster sieht er lockend und leise glänzen und spürt den Baum an seiner Seite, stämmig und bereit, ihn zu tragen. Ein paar rasche Griffe, ein Schwung jetzt noch hinauf, und schon hängen seine Hände an einem Ast und ziehen den Körper energisch nach. Und jetzt hängt er oben, fast ganz oben im Blattwerk, das unter ihm entsetzt schwankt. Bis in die letzten Blätter rieselt dieses wellig schauernde Rauschen, und stärker beugt sich der vorgelehnte Ast an das Fenster, als wollte er die Ahnungslose warnen. Der Kletternde sieht jetzt schon die weiße Decke des Zimmers und in ihrer Mitte golden funkelnd den Lichtkreis der Lampe. Und er weiß, leise zitternd vor Erregung, im nächsten Augenblicke wird er sie selbst sehen, weinend oder still schluchzend oder in der nackten Begierde ihres Körpers. Seine Arme werden schlaff, aber er faßt sich wieder. Langsam gleitet er den Ast hinab, der ihrem Fenster zugewandt ist, die Kniee bluten ihm leicht, die Hand hat sichaufgerissen, aber er klimmt weiter und ist schon fast angestrahlt vom nahen Schein des Fensters. Ein breites Gebüschel von Blättern umhängt noch die Aussicht, den so sehr ersehnten letzten Blick, und wie er jetzt die Hand hebt, um ihn beiseite zu streifen, und schon der Lichtstrahl blank auf ihn fällt, wie er sich vorbeugt und bebt – schwankt sein Körper, verliert
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