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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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unenthüllbaren Geheimnis, dessen Enträtselung Untergang bedeutet. Vielleicht führt dieser Strom uns bis zum Südpol selbst. Ich muß bekennen, daß diese augenscheinlich so absurde Vorstellung alle Wahrscheinlichkeit für sich hat.
    Die Mannschaft wandert mit rastlosen, zitternden Schritten an Deck auf und ab; ihre Gesichter aber tragen eher den Ausdruck leidenschaftlicher Hoffnung als den mutloser Verzweiflung.
    Wir treiben noch immer vor dem Wind, und da wir mit Segeln ganz bepackt sind, so wird das Schiff zuweilen geradezu in die Luft gehoben! O Grauen über Grauen! – Die Eismauern rechts und links hören plötzlich auf, und wir wirbeln in ungeheuren konzentrischen Kreisen dahin – rund um den Rand eines riesigen Amphitheaters, dessen gegenüberliegende Seite sich in Dunkel und Ferne verliert.
    Doch wenig Zeit bleibt mir, über mein Schicksal nachzudenken! Die Spiralen werden enger und enger – wir stürzen mit rasanter Eile in den Strudel – und mitten im Donnergeheul von Meer und Sturm erbebt das Schiff, wankt und – o Gott! – versinkt!
    Die Arbeit Das Manuskript in der Flasche wurde zum ersten Male im Jahre  veröffentlicht; und erst viele Jahre später wurden mir die Mercatorschen Seekarten bekannt, nach deren Darstellung der Ozean sich in vier Mündungen in den (nördlichen) Polargolf ergießt, um dort von den Eingeweiden der Erde verschlungen zu werden. Der Pol selbst ist dargestellt, als ein schwarzer, zu gewaltiger Höhe aufragender Fels.

DAS STELLDICHEIN
    Le Assignation ()
    Erwarte mich! Ich will Dich nicht verfehlen,
    Dich wieder treffen in dem hohlen Tal der Schatten!
    (Nachruf Henry Kings, Bischofs von Chichester, an seine Gattin)

    Unseliger, geheimnisvoller Mann (gemeint ist der engl. Dichter Lord  George Gordon Noel Byron) – O Du –, zerstört durch die brennende Glut Deiner eigenen Phantasie, verschlungen von den schlagenden Flammen Deiner allzu heißen Jugend! Wieder sehe ich Dich vor mir!
    Wieder ist Deine Gestalt vor meinen Augen erstanden; nicht die, welche jetzt in dem kalten Tale der Schatten irrt, nein: die, welche noch  sein könnte und dann ein Leben prächtiger Träumereien in jener Stadt nebelhafter Gesichte verschwenden würde – in Deinem Venedig, dem von den Sternen geliebten Elysium des Meeres, wo die hohen Palastfenster mit tiefer, bitterer Bedeutung auf die Geheimnisse der schweigenden Wasser hinabsehen. Ja, ich sehe Dich! Oh, und gewiß: es gibt noch andere Welten als diese irdische, andere Gedanken als die plumpen der Menge, andere Weisheiten als die allzu klugen Sophismen im Philosophenhirn! Wer könnte Dich wohl um Deines Lebens willen zur Verantwortung ziehen; wer Dich tadeln für die Stunden, in denen Du fern, fern, weltentrückt warst? Wer möchte ernsthaft Dein traumgeweihtes Dasein ein ›verlorenes‹ nennen?
    In Venedig, unter dem gedeckten Bogengang, der die Seufzerbrücke heißt, da traf ich den Mann, von dem ich hier rede, zum dritten oder vierten Male. Verwirrt ist meine Erinnerung: der Einzelheiten vermag ich mich nicht zu entsinnen. Und doch – vergessen werd ich’s nie … Wenn ich so zurückdenke: Wie tief die Mitternacht war, die über jener Brücke damals lag. Und diese erlesene Formenschönheit.
    Und der ganze Geist des Seltsamen, der schwebend über dem Kanal lag, an seinen Ufern auf und nieder glitt.
    Die Nacht war unheimlich dunkel; die große Glocke auf der Piazza hatte eben die zwölfte Stunde geschlagen. Schweigend und verlassen lag der Campanile da. Die Lichter in dem alten Dogenpalaste erloschen eins nach dem anderen. Ich kam durch den großen Kanal von der Piazetta, und als meine Gondel gegenüber der Mündung des Kanals San Marco angekommen war, brach plötzlich der wilde, hysterische, lang anhaltende Schrei einer weiblichen Stimme durch die Nacht.
    Erschrocken sprang ich auf, während mein Gondoliere sein einziges Ruder fallen ließ, das in der pechschwarzen Finsternis auf immer verlorenging, so daß wir uns der Strömung überlassen mußten, die hier von dem größeren in den kleineren Kanal treibt. Wie ein ungeheurer, trauerflorbefiederter Kondor glitt unsere Barke langsam der Seufzerbrücke zu, als tausend Fackeln in den Fenstern und auf der Treppe des Dogenpalastes aufflackerten und die tiefe Düsterheit mit einem Schlage in einen totenbleichen, phantastischen Tag verwandelten.
    Ein Kind war aus den Armen seiner eigenen Mutter aus einem der oberen Fenster des mächtigen Bauwerkes in den tiefen,

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