Erzählungen
über die Rundung des Marmorbusens, über die leuchtende Reinheit ihrer marmornen Füße rinnt plötzlich eine Flut schimmernden Rosenlichtes, und ein leichtes Erschauern geht über ihr zartes Gesicht wie die liebliche Luft Neapels über die schlanken Silberlilien im Grase.
Weshalb nur mochte die Dame erröten? Vielleicht, weil sie in der angstvollen Hast ihres mütterlichen Herzens die Verschwiegenheit ihres Gemaches verließ, ohne ihre zarten Füße in die Pantöffelchen zu stecken und die gewohnte Hülle um ihre schneeigen Schultern zu breiten? Welch anderen Grund könnte man sonst für ihr Erröten finden, für das Aufglänzen ihrer seltsam verlangenden Augen, für den Aufruhr in ihrem wildklopfenden Busen, für den krampfhaften Druck ihrer zitternden Hand, ihrer Hand, die, als Mentoni in den Palast zurückgekehrt, wie zufällig auf die Hand des Fremden fiel?
Welchen Grund mochte es wohl haben, daß sie sonderbar leise mit den eilig geflüsterten sinnlosen Worten von ihm Abschied nahm:
»Du hast gesiegt, das Murmeln der Wasser hat mich nicht getäuscht. Du hast gesiegt, eine Stunde nach Sonnenaufgang werden wir uns treffen – so soll es sein!«
Der Tumult ließ nach, die Lichter im Palast erloschen eins nach dem anderen, und der Fremde, der mir wohlbekannt war, stand allein auf den Fliesen. Er schauderte einen Augenblick mit einer seltsamen Bewegung zusammen, dann blickte sein Auge suchend nach einer Gondel umher. Ich konnte nicht umhin, ihn aufzufordern, sich meiner eigenen zu bedienen – und er nahm das Anerbieten an. Es gelang uns, ein neues Ruder aufzutreiben, und bald glitten wir seiner Wohnung zu, während er nach und nach, doch immerhin schnell, seine Selbstbeherrschung zurückgewann und mit herzlichem Tone von unserer früheren flüchtigen Bekanntschaft sprach.
Es gibt einige Menschen, über die ich sehr eingehend sprechen möchte, und die Person des Fremden – lassen Sie ihn mich so nennen, denn für diese Welt war er stets ein Fremder – gehört zu ihnen. Seine Größe war vielleicht eher unter als über dem Mittelmaß, obwohl sich seine Gestalt in Augenblicken der Leidenschaftlichkeit reckte und wuchs, so daß sie diese Behauptung wieder Lügen strafte. Die leichte, fast zarte Symmetrie seines Antlitzes redete mehr von Taten solch raschen Handelns, wie er es an der Seufzerbrücke gezeigt, als von jener übermenschlichen Kraft, die er ohne Anstrengung bei gefährlicheren Gelegenheiten schon bewiesen hatte. Der Mund, das Kinn waren schön wie die eines Gottes – die Augen seltsam, wild, glutvoll und klar, und ihr Glanz schwankte zwischen reinstem Haselbraun und grundlosestem, glänzendstem Jettschwarz – aus einer Fülle dunklen Lockenhaares schimmerte eine ungewöhnlich breite Stirn in lichtem Elfenbein. Niemals sah ich Züge voll solch klassischer Regelmäßigkeit; nur den marmorstarren Linien des Kaisers Commodus waren sie vergleichbar. Doch gehörte sein Antlitz zu denen, die jeder Mensch in seinem Leben einmal gesehen hat – und dann niemals wieder. Es hatte keinen besonderen, keinen bleibenden, herrschenden Ausdruck, der sich dem Gedächtnis hätte einprägen können; ein Antlitz, das man sah und vergaß: doch mit dem unbestimmten Wunsche vergaß, es sich wieder ins Gedächtnis zurückrufen zu können. Wohl warf der Geist jeder schnellen Leidenschaft sein deutliches Abbild auf den Spiegel dieses Antlitzes; aber der Spiegel hielt, spiegeltreu, keine Spur der Leidenschaft zurück, wenn jener Geist wieder entflohen war.
Als ich ihn in der Nacht nach unserem Abenteuer verließ, bat er mich, wie es mir vorkam, ziemlich dringend, ihn am anderen Morgen sehr früh zu besuchen. Kurz nach Sonnenaufgang fand ich mich denn auch in seinem Palast ein, in einem jener ungeheuren Gebäude von düsterem, phantastischem Pomp, die sich an dem Wasser des großen Kanals in der Nähe des Rialto auftürmen. Man wies mich eine breite, gewundene, mosaikbelegte Treppe hinauf in ein Gemach, dessen unvergleichliche Pracht wie ein strahlender Lichtstrom durch die offene Tür zu mir hinausglänzte, mich blendete und schwindlig machte.
Ich wußte, daß mein Freund sehr reich war. Die Fama sprach von seinen Besitztümern in Ausdrücken, die ich einmal als lächerliche Übertreibung zu bezeichnen gewagt hatte. Doch als ich nun meine Blicke umherschweifen ließ, kam mir der Gedanke, daß der Reichtum keines Mannes in ganz Europa genügt haben würde, diese kaiserliche Pracht, die um mich her strahlte und glühte,
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