Erzählungen
Irrtum verlegte den Schuß zwei und einen halben Zoll von der richtigen Stelle weg. Hätte der Schatz unter dem ›Schuß‹ gelegen, so hätte dies nicht viel zu bedeuten gehabt, aber der ›Schuß‹ und der nächstliegende Punkt des Baumes waren nur die Angaben für eine weitere Richtungslinie, bei deren Verlängerung wir natürlich immer weiter von der richtigen Stelle abkamen, bis wir in der Entfernung von fünfzig Fuß die Spur ganz und gar verloren hatten.
Wäre ich nicht so felsenfest überzeugt gewesen, es müsse in der Nähe ein Schatz begraben sein, so hätten wir all die Arbeit wohl umsonst verrichtet.«
»Aber Ihr stolz beredtes Benehmen und die merkwürdigen Manipulationen mit dem Käfer – wie höchst seltsam! Ich dachte bestimmt, Sie hätten den Verstand verloren. Und weshalb bestanden Sie darauf, statt einer Kugel den Käfer durch das Auge des Totenkopfes fallen zu lassen?«
»Nun, um die Wahrheit zu gestehen, ich ärgerte mich etwas darüber, daß Sie an meiner Zurechnungsfähigkeit zweifelten, und beschloß deshalb, Sie unmerklich auf meine Weise zu strafen, indem ich ein wenig mystifizierte. Nur deshalb schwang ich den Käfer hin und her und ließ ihn vom Baum herabgleiten. Übrigens hat mich erst Ihre Bemerkung, wie auffallend schwer er sei, auf diesen letzten Gedanken gebracht.«
»Nun habe ich nur noch eine Frage zu stellen: Was sollen wir mit den Skeletten anfangen, die wir in der Grube gefunden haben?«
»Das weiß ich ebensowenig wie Sie selbst. Ich kann mir überhaupt kaum erklären, wie sie je an diesen Ort gekommen sind. Die einzige Möglichkeit weist auf ein scheußliches Verbrechen hin, an das zu glauben schwer ist. Wenn es wirklich Kidd war, der den Schatz vergraben hat – und ich zweifle keinen Augenblick, daß er es gewesen ist –, so muß er Helfershelfer bei der Arbeit gehabt haben. Nachdem sie vollbracht war, hielt er es vielleicht für angemessen, sich der Mitwisser dieses Geheimnisses zu entledigen. Vielleicht genügten ein paar Schläge mit einer Hacke auf die ahnungslos Arbeitenden, vielleicht waren auch ein Dutzend nötig – wer kann das wissen!«
DER SCHWARZE KATER
The Black Cat ()
Ich verlange und erwarte nicht, daß man die höchst seltsame und doch einfache Geschichte, die ich hier niederschreiben will, glaubt. Es wäre auch töricht, dies zu tun, denn ich selbst vermag dem Zeugnis meiner Sinne kaum zu trauen. Doch bin ich weder wahnsinnig noch habe ich geträumt. Morgen aber muß ich sterben und möchte darum heute meine Seele entlasten. Zu diesem Zweck will ich der Welt klar und bündig und ohne weitere Erörterungen eine Reihe rein häuslicher Begebenheiten vor Augen führen. Die Folgen dieser Begebenheiten haben mich dem Entsetzen, haben mich der Qual anheimgegeben und mich schließlich zugrunde gerichtet. Doch will ich nicht versuchen, sie weiter zu erklären. Mir haben sie ein Schaudern verursacht; anderen mögen sie vielleicht weniger schrecklich als sonderbar erscheinen.
Später vielleicht wird ein denkender Geist meine Wahngebilde auf Selbstverständlichkeiten zurückführen – er wird, ruhiger, logischer und viel weniger nervös als ich, in all den Umständen, die ich nun mit Grausen erzähle, die gewöhnliche Folge ganz natürlicher Ursachen und Wirkungen erkennen.
Von früher Kindheit an war ich wegen meines gelehrigen, liebevollen Wesens bekannt. Die Zärtlichkeit meines Herzens war so ungewöhnlich, daß sie mich zum Gespött meiner Kameraden machte. Ich war ein großer Tierfreund, und meine Eltern gestatteten mir gütigst, eine ganze Anzahl solcher Lieblinge zu halten. Mit ihnen verbrachte ich den größten Teil meiner Zeit und fühlte mich nie so glücklich, als wenn ich sie fütterte und liebkoste. Diese Eigenheit meines Wesens wuchs mit den Jahren und war später im Mannesalter der Quell meiner größten Vergnügungen. Denen, die jemals Neigung für einen treuen und gelehrigen Hund gehabt haben, brauche ich wohl die Natur und die innige Befriedigung, die aus solch einer Liebhaberei entstehen kann, nicht weiter zu erklären. In der selbstlosen und aufopferungsfähigen Anhänglichkeit eines Tieres liegt etwas, das unmittelbar zum Herzen dessen spricht, der oft Gelegenheit gehabt hat, die Armseligkeit und Unbeständigkeit der Menschen – was Freundschaft und Treue angeht – zu erproben.Ich heiratete früh und war glücklich, bei meiner Frau eine meinem Wesen entsprechende Gemütsart zu finden. Als sie meine Vorliebe für
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