Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
Vom Netzwerk:
Maillard kroch zu meiner höchsten Verwunderung unter den Servierschrank. Ich hätte von ihm mehr Entschlossenheit erwartet. Die Mitglieder des Orchesters, die während der letzten Viertelstunde anscheinend zu betrunken gewesen waren, um ihren Pflichten nachzukommen, sprangen nun alle auf einmal zu ihren Instrumenten, kletterten auf ihren Tisch und brachen in den ›Yankee Doodle‹ aus, den sie, wenn auch nicht ganz im Takt, doch mit übermenschlicher Energie während des ganzen Aufruhrs wieder und wieder spielten.
    Den Speisetisch mit seinen zahl osen Flaschen und Gläsern hatte inzwischen jener Herr erklommen, den man vorher so schwer von diesem Tun zurückhalten konnte. Kaum hatte er oben Fuß gefaßt, so begann er eine Rede, die zweifel os glänzend war, wenn man sie nur hätte verstehen können. Gleichzeitig begann der Mann mit der Kreiselmanie sich mit Kraft und Ausdauer durchs Zimmer zu drehen; seine Arme hatte er in rechtem Winkel von sich gestreckt, so daß er wirklich wie ein Kreisel aussah und jeden niederwarf, der ihm in den Weg kam.
    Plötzlich hörte ich ein seltsames Knal en und Sprudeln wie von einer Sektflasche und entdeckte schließlich, daß es von jenem Manne herrührte, der vorhin bei Tisch die Sektflasche nachgeahmt hatte; und der Froschmensch quakte, als hinge sein Seelenheil an jedem Ton, den er zum besten gab. Und über das alles erhob sich das laute J-ah eines Esels.
    Was meine alte Freundin, Frau Joyeuse, anlangte, so hätte ich aus Mitgefühl fast Tränen vergossen, so furchtbar erschocken schien sie. Al es, was sie jedoch tat, war, daß sie sich beim Kamin in einen Winkel stel te und ununterbrochen mit kreischender Stimme Ki-keri-ki-i rief.
    Und nun kam der Höhepunkt, die Katastrophe des Dramas. Da den Leuten draußen kein anderer Widerstand als Schreien und Quaken und Krähen entgegengesetzt wurde, so waren die zehn Fenster sehr rasch und fast gleichzeitig eingeschlagen. Nie werde ich das Staunen und Entsetzen vergessen, mit dem ich diese Wesen anstarrte, die da durch die Fenster sprangen und sich stampfend und heulend und schlagend und kratzend unter uns stürzten. Sie gleichen einem Heer von Schimpansen, Orang-Utans oder schwarzen Pavianen vom Kap der guten Hoffnung.
    Ich bekam einen furchtbaren Hieb, der mich unter das Sofa beförderte. Dort lag ich wohl fünfzehn Minuten und horchte angespannt auf die Vorgänge im Saal und fand schließlich die Lösung der Tragödie. Herr Maillard, der mir die Geschichte von dem Wahnsinnigen erzählte, der seine Genossen zur Rebellion verleitete, hatte nichts als seine eigenen Taten berichtet. Dieser Herr war tatsächlich vor zwei oder drei Jahren Leiter der Anstalt gewesen, wurde aber selbst verrückt und also den Kranken eingereiht. Diese Tatsache war meinem Reisegefährten, der mich hier einführte, unbekannt gewesen. Die Wärter, zehn an der Zahl, waren plötzlich überwältigt worden; dann hatte man sie mit Teer bestrichen, in Federn gewälzt und in unterirdische Zellen eingesperrt.
    Mehr als einen Monat waren sie so gefangen gehalten worden, während welcher Zeit Herr Maillard ihnen großmütigerweise nicht nur Teer und Federn (die sein ›System‹ ausmachten), sondern auch etwas Brot und viel Wasser zukommen ließ. Mit letzterem wurden sie täglich übergossen. Einer von ihnen, der durch den Abzugskanal entkommen war, befreite dann die anderen.
    Das Besänftigungs-System ist, mit bedeutenden Einschränkungen, im Schlosse wieder aufgenommen worden; dennoch muß ich Herrn Maillard zustimmen, daß seine eigene ›Behandlungsmethode‹ in ihrer Art ganz hervorragend war. Wie er richtig bemerkte, war sie »einfach und klar und machte gar keine Umstände – durchaus keine«.
    Ich habe nur hinzuzufügen, daß ich alle Buchhandlungen Europas nach den Werken des Dr. Teer und des Prof. Feder abgesucht habe, daß aber bis auf den heutigen Tag meine Bemühungen vergeblich waren.

DER WAHRE SACHVERHALT IM FALLE VALDEMAR
    The Facts in the Case of M. Valdemar ()

    Es darf nicht wundernehmen, daß der Fall Valdemar lebhaftes Aufsehen erregt hat – man hätte es vielmehr ein Wunder nennen müssen, wäre es anders gewesen. Der Wunsch aller bei der Angelegenheit beteiligten Personen, diese wenigstens so lange geheimzuhalten, bis neue Nachforschungen ihnen noch weitere Beweise an die Hand gegeben hätten, veranlaßte, daß ein tendenziöser und übertriebener Bericht ins Publikum gelangte, der die ganze Angelegenheit in falschem Licht erscheinen

Weitere Kostenlose Bücher