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Erzaehlungen aus dem Nachlass

Erzaehlungen aus dem Nachlass

Titel: Erzaehlungen aus dem Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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war übermenschlich, war unsterblich. – Ich erschrak selbst vor dem Feuer, das meinen Worten entlohte und das zünden musste – zünden – und einen Brand entfachen, einen namenlosen Brand, der über die ganze Welt hinzüngelte und Alles einäschern sollte, was niedrig, was gemein und elend ist! O, ich fühlte Kraft in mir. Kraft, Hünenkraft, die Axe der Welt zu fassen, sie still zu zwingen, zu zwingen…«
    Sein Wort ging pfeifend aus.
    Seine Wangen waren roth geworden, er rang nach Athem.
    Erschöpft fiel er im Lehnstuhl zurück.
    Dann begann er tonlos und matt:
    »Ich hab’s vollbracht. – Sieben Jahre hindurch habe ich in der Einsamkeit der Hütte emsig und im Feuer einer tödlichen Begeisterung geschaffen. Das Werk war ungeheuerlich geworden. Eine wuchtige Keule für alles Schlechte. Da war mehr drin als Menschenkraft…
    Es war Frühjahr. Just wie heute. Ich hatte den letzten Strich gemacht. Ich fühlte keine Mattigkeit, wenn auch meine Augen verschwollen waren und meine Rechte starr. Ich kniete hin und küsste mein Werk. Ich betete zu meinem Werke; denn ich wusste, dass es göttlich war.
    Dann nahm ich Hut und Mantel. Zum ersten Male seit Jahren wollte ich wieder weiter feldein streifen, mich stärken und erfrischen. Und welchen Genuss hauchte diese blaue Lenzluft in meine Seele; tief sog ich sie ein, und es kam über mich wie ein wonniger, tröstender Traum. Das Eis des Kummers, das meine Gefühle seit dem Tode der Geliebten gebannt hatte, schmolz – und ein seliges, unbeschreibliches Empfinden glutete in mir. Ich jauchzte wie ein Kind, folgte den Faltern, pflückte Blüten und schaute den sprudelnden Quellen zu, die talwärts sprangen. So leicht war mir der Fuß, so frei der Blick, wie ich es nie noch empfunden zu haben vermeinte. Stundenlang strich ich waldein – und als ich umkehrte, lag schon die Weihe des Abends auf den wogenden Feldern …«
    Der Rath schwieg wieder und senkte das Haupt. Plötzlich sah er auf – er packte mich jäh bei der Schulter.
    »Ich komme zurück, meine Hütte – brennt!« Er schrie diese Worte, dass ich zitterte. »… brennt! …« wiederholte jener, als sähe er eben noch das Entsetzliche vor seinen Augen.
    »Hineinstürzen, retten! … Trümmer, Fetzen, Balken … nichts, nichts.« Thränen erstickten ihm die Stimme. Er schlug die Hände vors Gesicht und brach in ein wildes, schluchzendes Weinen aus.
    Mir schnürte es das Herz zusammen.
    »Herr Horn, Herr Horn« – stammelte ich – Onkel, wie ich ihm sonst sagte, getraute ich mich nicht ihn in diesem Augenblicke zu nennen, – »Gott – – und Sie haben nicht wieder aufgeschrieben? …«
    Ich bereute diese Frage.
    Er sah auf: –
    »Den Inhalt Ihres Werkes? …«
    Sein Auge war groß und glanzlos, seine Züge waren hart und verzerrt, als er murmelte: »Ich weiß nicht, was es enthielt … ich weiß nicht!«
    Fassungslos und fragend schaute ich dem armen Mann in die Augen.
    »Nein« – ächzte er – »nein, der Schrecken, der plötzlich, – alle Erinnerung ist fort … Alles … Tag und Nacht sinne ich … Tag und Nacht. Dort siehst du, Paul«, – er wurde ruhiger – »dort auf dem kleinen Tischchen liegt immer Papier und Feder – und oft erfasst es mich, als müsste jetzt alles wieder auftauchen … Nein, nein – nie mehr«, und er lachte, dass ich zusammenschrak.
    Er aber füllte mir die Taschen mit Naschereien und schickte mich fort. Ich ging ungern; ich hätte ihn so gerne trösten mögen – aber wie? Auf dem Flur zögerte ich eine Secunde. – Da, da vernahm ich durch die Türe wieder jenes schluchzende, herztötende Weinen und von plötzlicher Furcht ergriffen eilte ich aus dem grauen Hause und drückte die Thüre fest hinter mir zu. Das Weinen aber vernahm ich die kommenden Nächte oft im Schlafe, und ich legte mich dann immer rasch auf die andere Seite. Es war so entsetzlich.
    In dem Verkehre mit meinem alten Freunde änderte sich dagegen nichts. Er war wieder der lächelnde, gutmütige, freundliche Mann. Nie sprachen wir von der Vergangenheit. Ich scheute es, eine Wunde zu berühren, für die ich ja doch keinen Balsam wusste, und er dankte mir diese zarte Rücksicht mit reichlichen Aufmerksamkeiten und Wohlthaten. Ich hatte ihn sehr lieb gewonnen, den Rath; und ich war ihm doppelt zugetan, weil zu dem Gefühle der Sympathie sich noch der Stolz gesellte, der einzige Vertraute seines schrecklichen Schmerzes zu sein.
    Es war im Herbst. – Ich betrat wieder das gewohnte düstere Häuschen, und

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