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Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Titel: Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord Kostenlos Bücher Online Lesen
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vorstellen, wie schmerzlich das sein kann? Ich flehe manchmal, die Leute mögen mich doch mal überraschen, wenn ich anfange, von Anfang an das Ende zu erkennen. Ich habe in meinem Leben sozusagen nur Anfänge gekannt, immer verrückt vor Hoffnung, ich könnte mich irren. Und sehr rasch zeichnete sich das Ende vor meinen Augen ab wie in einem dieser öden Filme, bei dem Sie sofort erraten, wer sich in wen verliebt und wer einen Unfall haben wird. Sie sehen den Film trotzdem, aber es ist zu spät, er ödet Sie an.«
    »Nehmen wir an, Sie seien ein intuitiver Mensch«, sagte Danglard. »Der Spürsinn des Bullen ist alles, was ich Ihnen zubillige. Aber selbst den darf man nicht nutzen, es ist zu riskant, es ist zu abscheulich. Nein, nicht mal nach zwanzig Jahren erkennt man die anderen.«
    Adamsberg stützte sein Kinn auf die Hand. Der Rauch seiner Zigarette ließ seine Augen glänzen.
    »Nehmen Sie mir dieses Erkennen, Danglard. Befreien Sie mich davon, das ist alles, was ich erwarte.«
    »Die Menschen sind keine Tiere«, fuhr Danglard fort.
    »Nein. Ich mag sie, und mir sind Tiere und alles, was sie denken und wollen mögen, völlig egal. Obwohl die auch was wollen, warum auch nicht.«
    »Das stimmt«, pflichtete Danglard bei.
    »Ist Ihnen schon mal ein Justizirrtum unterlaufen, Danglard?«
    »Haben Sie meine Akte gelesen?« fragte Danglard und warf Adamsberg, der rauchte und zeichnete, einen Blick von der Seite zu.
    »Wenn ich nein sage, dann werden Sie mir vorwerfen, hier den großen Magier zu spielen. Und doch habe ich sie nicht gelesen. Was war da los?«
    »Es ging um ein junges Mädchen. Es gab einen Einbruch in das Juweliergeschäft, in dem sie arbeitete. Ich habe meine ganze Überzeugung eingesetzt, um ihre Mitschuld zu beweisen. Es war eben ganz offensichtlich. Ihr Verhalten, ihre Heuchelei, ihre Bosheit, ich habe schließlich auch meinen Bullenspürsinn, nicht wahr? Sie hat drei Jahre gekriegt und sich zwei Monate später in ihrer Zelle umgebracht, auf ziemlich schreckliche Weise. Aber sie hatte mit dem Einbruch nicht das geringste zu tun, das kam kurz danach heraus. Bei mir ist jetzt Schluß mit der Scheißintuition und mit Ihren Scheißschaben auf den Mündern junger Mädchen. Von dem Tag an habe ich private Spitzfindigkeiten und innerste Überzeugungen gegen öffentliche Unentschlossenheit und banale Gedanken getauscht.«
    Danglard erhob sich.
    »Warten Sie«, sagte Adamsberg. »Vergessen Sie nicht, den Stiefsohn Vernoux herzubestellen.«
    Adamsberg machte eine Pause. Es war ihm etwas unangenehm. Seine Entscheidung paßte schlecht nach einer solchen Diskussion. Etwas leiser fuhr er fort:
    »Und nehmen Sie ihn vorläufig in Gewahrsam.«
    »Das meinen Sie nicht ernst, Kommissar?« fragte Danglard.
    Adamsberg biß sich mit den Zähnen auf die Unterlippe.
    »Seine Freundin deckt ihn. Ich bin sicher, daß sie am Mordabend nicht gemeinsam im Restaurant essen waren, auch wenn ihre beiden Versionen übereinstimmen. Verhören Sie sie noch mal beide, einen nach dem anderen: Wie lange hat es zwischen dem ersten und dem zweiten Gang gedauert? Hat ein Gitarrist irgendwas im Lokal gespielt? Wo stand die Weinflasche auf dem Tisch, rechts, links? Was für ein Wein? Was für eine Form hatten die Gläser? Welche Farbe hatte das Tischtuch? Und so weiter, bis sie die Details nicht mehr wissen. Sie werden sich verplappern, Sie werden sehen. Und dann stellen Sie eine Liste mit allen Schuhen des Jungen auf. Erkundigen Sie sich bei der Putzfrau, die ihm seine Mutter bezahlt. Es muß ein Paar fehlen, das Paar, das er am Abend des Mordes trug, denn der Boden ist schlammig um das Lager herum, wegen der Baustelle nebenan, wo sie einen Lehm abtragen, der klebt wie Fensterkitt. Der junge Mann ist nicht blöd, er hat sie verschwinden lassen. Lassen Sie in den Gullys in der Nähe seiner Wohnung suchen, er hat die letzten Meter zwischen dem Gully und seiner Haustür in Strümpfen laufen können.«
    »Wenn ich richtig verstehe«, sagte Danglard, »dann schwitzt der arme Kerl ihrem Gespür nach etwas aus?«
    »Ich fürchte ja«, sagte Adamsberg leise. »Was schwitzt er aus?«
    »Grausamkeit.«
    »Erscheint Ihnen das offensichtlich?«
    »Ja, Danglard.« Aber diese Worte waren fast unhörbar.
     
    ***
     
    Nachdem der Inspektor gegangen war, zog Adamsberg den Stapel Zeitungen zu sich, den man ihm vorbereitet hatte. In drei Zeitungen fand er, was er suchte. Das Phänomen nahm noch nicht viel Raum in der Presse ein, aber er war sicher, das

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