Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman
hat?
Mein Herz pocht hektisch. Sie lächelt mich an und ich rieche ihren Wein-Atem. Mir fällt nichts ein, wie ich sie abwimmeln könnte. Schließlich mache ich einen Schritt zurück ins Zimmer. »Wenn Sie morgen noch hier sind«, höre ich mich murmeln, »würde ich Sie zum Dank gern auf einen Drink einladen.«
»Sicher, sehr gern«, erwidert sie mit gefrierendem Lächeln, macht aber keine Anstalten zu gehen.
Meine eigenen Gesichtszüge entgleisen zu einer grinsenden Fratze, weil ich versuche, ihr erstarrtes Lächeln zu ersetzen. Ich ziehe den Gürtel meines Bademantels etwas fester und mache die Zimmertür vor ihrer Nase zu.
17
Der Morgen plätschert widerstrebend in mein Bewusstsein. Ich will wieder nicht ich sein. Nicht das, was mich erwartet. Nicht das, was ich bin oder war. Jemand anderes vielleicht. Ein Buch, ein Comic, ein angenehmes Gefühl. Alles außer mir.
Mein Kopf tut weh. Ich habe seit Tagen nichts gegessen und schlafe immer wieder ein. Der Arzt war da, aber er hat mich auch nicht nach Hause geschickt. Ich soll einfach liegen bleiben. Ich bin ganz allein in einem Zimmer. Hier gibt es keine Bettnässer und keine Schwester Ursula. Keinen Lichtschein unter der Tür, nur Dunkelheit. Wenn ich bei Tag aus dem Fenster schaue, sehe ich einen Turm. Er ist achteckig und aus großen alten Steinen gebaut. Wahrscheinlich wohnt jemand darin. Ich habe noch nie jemanden gesehen, aber in der Nacht, wenn ich aufwache, dringt manchmal ein Licht heraus. Ich bin dem Turm ausgeliefert, weil ich nicht aufstehen kann. Ich kann noch nicht einmal mehr allein aufs Klo. Von Tag zu Tag werde ich schwächer. Ich bin schon so geschwächt, dass ich kein Heimweh mehr habe. Nur noch Kopfweh. Immer Kopfweh.
Als ich die Augen endlich öffne, ist es schon hell. Ich ziehe meine klammen Sachen von gestern wieder an, etwas anderes habe ich ja nicht mehr dabei. Die Kälte kriecht durch das innere Knochenmark die Wirbelsäule hinauf bis direkt in die Seele. Ein uralter und tief verwurzelter Widerwille, sich in die Welt zu begeben, überkommt mich. Doch ich stopfe ein Hotelhandtuch unter meinen Mantel und schleiche mich ohne Frühstück durch die Flure hinaus wie ein Nachtwächter, der seine Pflicht getan hat und den zu Hause Kummer und Sorgen erwarten. Den Zimmerschlüssel lege ich auf den unbesetzten Tresen der Rezeption. Meine Schritte durch die Empfangshalle hinterlassen eine Spur hauchzarten Wasserdunsts auf dem Teppichboden.
Draußen erwartet mich nichts als Nebel. Wasser, das sich nicht entscheiden kann, in welche Sphäre es will, und deshalb einfach in der Luft hängen bleibt. Vielleicht findet es auch bloß nicht mehr den Weg aus dem engen Tal heraus. Kein Wunder, dass außer mir kein Mensch auf der Straße ist.
Ich trotte um ein paar holzbeschlagene Balkone herum, die an steinernen Häusern hängen, und gehe die Dorfstraße hinunter bis ins Zentrum, das aus einer tristen Ansammlung von Gebäuden entsteht. Altbauten im Stil der Region. Wenn es wärmer wäre, würde bestimmt jemand im Trachtenanzug herumlaufen. Das Auffälligste sind die zahllosen Hinweisschilder, die unmissverständlich deutlich machen, dass es sich hier um einen Kurort handelt. Unübersehbar das »Kurzentrum«: ein schwarzer, mit Holz verkleideter Betonbau aus den achtziger Jahren, der aussieht wie eine Schulaula. Direkt dahinter ist ein kleiner Kräutergarten angelegt, dessen Beete um diese Jahreszeit zwar leer, aber immerhin noch beschriftet sind. Auf einem der Aushänge an dem großen Brett für »Bekanntmachungen« finden sich die Attraktionen des Ortes: Reha, Massage, Bad, Moor, Fango, Tango, Kurschatten, Diät … Der Bürgermeister stehe im Rathaus zur Verfügung, um die Fragen der Gäste zu beantworten und mit weiteren Angeboten aufzuwarten. Auf der Rückseite des Kurzentrums ein Werbebanner: »Wer hier gesund wird, war nie krank.«
Ich gehe weiter und komme an der kleinen Barockkirche vorbei, die laut Anschlag am Kurzentrum Pfarrer und Orgel beherbergt. Ich lasse sie links liegen und folge einem der zahlreichen Hinweisschilder zu einem Wanderweg, der an einem Bach entlang in den Wald führt. Dort hoffe ich der Nässe entkommen zu können. Um bis dahin nicht völlig durchfeuchtet zu werden, binde ich mir das weiße Hotelhandtuch um den Kopf. Eine Zeit lang führt der Weg an der Straße entlang. Autos, die an mir vorbeifahren, drosseln unmerklich das Tempo, Augenpaare starren mich an. Dass meine Erscheinung höchst merkwürdig ist, wird mir zunächst
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