Es sterben immer drei
die Jahreszeit. In Sachen Wettertemperaturen vergaß Stella ihre pessimistische Grundeinstellung und pflegte einen sturen Optimismus. Wie gewöhnlich trug sie keine Strümpfe. Weil sie ihre Beine nackt am schönsten fand, erlaubte sie sich Wärmemaßnahmen untenrum nur bei Schneestürmen vor dem ersten November. Keine gute Idee in einer auf verwesungsverhindernden Frost heruntergekühlten Leichenhalle. Schon glaubte sie, die ersten Anzeichen einer Blasenentzündung zu spüren.
Ottos Angebot gab ihr nicht nur die Aussicht auf ein wärmendes Auto, sondern auch die Gelegenheit, sich den Trauergesprächen mit den anderen auf der U-Bahn-Fahrt zum Leichenschmaus zu entziehen. Also protestierte sie nur kurz, als er sie einfach am Ellenbogen nahm und zu einem schwarzen BMW mit beiger Lederinnenausstattung zog, der am Straßenrand parkte. So schlecht konnte es der Medienbranche nicht gehen, wenn Chefredakteure immer noch so dicke Dienstschlitten fuhren. Sie ließ sich ins Lederpolster fallen, und Otto schaltete die Sitzheizung ein. »Jetzt wird’s dir gleich schön kuschelig am Popo. Da kriegst du garantiert keine Eileitererkältung.« Er lachte ganz fürsorglich. Den Wagen startete er nicht. Ohne Trauerpräliminarien auf die arme Mechthild kam er gleich zum Grund für das Gespräch. »Valerie von Kollwitz und du, ihr seid doch befreundet«, stellte er mehr fest als er fragte.
Stella nickte, verblüfft über diesen unerwarteten Themenwechsel hin zu einer anderen Freundin, aber auch neugierig, was Valerie nun schon wieder angestellt hatte.
»Hast du eine Ahnung, warum sie nicht hier ist?«
Stella schüttelte den Kopf. »Sie konnte Mechthild zwar nicht leiden, weil die immer an ihr herummäkelte, aber eigentlich habe ich doch mit ihr gerechnet.«
»Sie hat dich nicht angerufen?«
»Das tut sie schon seit Längerem nicht mehr. Wir haben kaum noch Kontakt.« Sie warf ihm einen neugierigen Blick zu,aber nur kurz, um nicht aufdringlich zu wirken, und schaute dann wieder durch die Windschutzscheibe nach draußen. Valerie hatte ebenfalls eine Zeitlang Artikel für Otto verfasst, es war jedoch ein offenes Geheimnis, dass er sie nicht in erster Linie wegen ihres Schreibtalents schätzte. Was dazu führte, dass die beiden nach einer Weihnachtsfeier die Nacht miteinander verbrachten. Valerie, die über alle ihre Eroberungen gern Auskunft gab, hatte in der Redaktion offen darüber geplaudert. Als Einziger wusste Otto nicht, dass jeder es wusste, und tat offiziell immer so, als sei Valerie nur eine Autorin unter vielen, und nicht einmal die beste. Das war zwar schon fünf, sechs Jahre her, Valerie schrieb längst nicht mehr für Zeitschriften, aber wie sich ihr Verhältnis zu Otto inzwischen entwickelt hatte, wusste Stella nicht. Also schwieg sie und wartete, bis er selbst mit dem Grund für seine Fragen herausrückte.
Otto lehnte in der Ecke seines Fahrersitzes, den Rücken gegen die Tür gepresst und schaute sie so lange erwartungsvoll an, bis er das Schweigen nicht mehr ertragen konnte. »Hast du gewusst, dass diese Reportage über die Amateurnutten, für die sie den Nannen-Preis gekriegt hat, zum großen Teil autobiographisch war? Was für ein Früchtchen.«
Stella nickte. Ja, die offenherzige Geschichte über Studentinnen, die sich prostituierten, um ihr Studium zu bezahlen, basierte auf eigenen Erlebnissen. Mit dem Hinweis »das behältst du jetzt aber bitte für dich« hatte Valerie in gemeinsamen Bürostunden gern ihre erotischen Abenteuer zum Besten gegeben. Valerie war nicht gerade berühmt für ihren peniblen Umgang mit Fakten. Stella kannte ihren Hang zum Ausschmücken und wusste deshalb nie, was sie von den Erzählungen über nächtelange Ficks und gut ausgestattete Lover nun glauben sollte und was nicht. Aber genau jenes lustvolle Zuspitzen bis in die Groteske hatten die Juroren an Valeries Reportage als »schockierend neuen Ton einer jungen Generation« gelobt, als würden sie einen Roman auszeichnen und nicht eine journalistische Arbeit.Die Autorin lächelte geschmeichelt und dachte sich wahrscheinlich, sauber angeschmiert, meine Herren. Jedenfalls unterstellte Stella ihr das damals. »Sie hat immer verkündet, die Realität sei viel zu brav, man müsse ihr mit etwas Phantasie auf die Sprünge helfen«, sagte sie.
»Dass sie scharf auf Geld ist, wusste ich ja, als ich sie mal nach einer Betriebsfeier mit nach Hause nahm und mich am nächsten Morgen dabei ertappte, wie ich ihr 2000 Euro schenkte.« Otto schaute so
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