Es sterben immer drei
sich auf einen Stuhl in der vordersten Reihe plumpsen, dort wo Schilder die Plätze für Anverwandte markierten und er, genau genommen, nichts verloren hatte. Nur ein paar Sitze entfernt von Mechthilds Mann, der ihm kurz die Hand schüttelte und mit einem leichten Nicken Kondolenzfloskeln entgegennahm. Vielleicht wusste Günter, dass Otto eine alte Liebschaft von Mechthild war. Schon Jahrzehnte her. Mechthild hatte danach mit ihrem Ehemann ihre beständigste Stütze gefunden. Otto heiratete ein paarmal Frauen, deren einziges auffälliges Merkmal war, dass sie vonHochzeit zu Hochzeit jünger wurden. Ansonsten pflegte er seinen Ruf als Schwerenöter, der jede Praktikantin angrabbelte, die ihm versehentlich ins Blickfeld geriet. Auch die alternde Mechthild hatte immer eine offen zugegebene Schwäche für Otto behalten und war ihm über die Jahre wohlgesinnt geblieben. Sogar noch, als sie in Rente gehen musste und er weiter als Chefredakteur durch die Lande zog, unbehelligt von der Idee, dass er nun auch zu alt sein könnte, um eine Redaktion zu führen. Er lud sie trotz ihres Machtverlusts ab und zu auf ein Mittagessen ein, nannte sie altes Mädchen und fragte sie um Rat. Mechthild ließ es ungerührt zu, stellte keine Forderungen an ihn, bat nie um Hilfe, aber am Ende durfte er immer gern die Rechnung bezahlen.
Auf Spesen hatte Otto auch den riesigen Kranz aus gelben Gerbera schicken lassen. Zusätzlich hielt er einen Strauß gelber Rosen in der Hand, wohl als Grabbeigabe gedacht. Daran sah man, dass Mechthild in seinem Leben schon längst keine Rolle mehr spielte. Sie hatte Gerbera gehasst. Und gelbe Blumen ebenfalls.
Aufseufzend knöpfte Otto seinen schwarzen Mantel auf. Während der Redner, Mechthilds Bruder, das Leben seiner Schwester würdigte, tippte er trotz dicker Finger mit rasender Geschwindigkeit auf seinem Handy herum. Verstohlen zwar, zwischen Mantel und Anzug versteckt, als schäme er sich dafür, aber trotzdem für jeden sichtbar. Auf einem quietschentengelben iPhone. Wo er das aufgetrieben hatte, fragte Stella sich. Gelb war anscheinend seine Lieblingsfarbe. Kurz entschlossen setzte sie sich neben den einzigen Chefredakteur, von dem sie noch ab und zu einen Auftrag erhielt, und sagte: »Schön, dass du gekommen bist. Das freut sie.« Normalerweise hielten Männer seines Ranges Mitarbeiter, denen sie Honorare in mittelmäßiger Höhe zahlten, auf Distanz. Aber das war das Angenehme an Otto, er scherte sich nicht darum, was man war. Er schätzte Stella als Autorin, deshalb hatte er ihr irgendwann sein Du wie einenOrden verliehen. Mochte sein, dass er sich dabei liberal und sozial fühlte. Sollte er. Viel besser als seinem sexuellen Interesse ausgesetzt zu sein.
»Schätzchen«, flüsterte er und schaute von dem Handy hoch, behielt es aber in der Hand, als wollte er sich daran wärmen. »Das hätte sie gefreut. Konjunktiv II. Sie ist tot. Sie kriegt nichts mehr mit.« Auch er wagte ein Lächeln. Während der Trauerreden saß er still und nickte nur ab und zu mit dem Kopf, als sei er einverstanden mit den Aussagen über die Verstorbene.
Sein Handy klingelte, als gerade eine modisch dürre Verlagsleiterin im Nerzmantel die erfreuliche Zusammenarbeit mit Mechthild verklärte, trotz deren manchmal großer Lust an der Provokation. Wieder nickte Otto bestätigend. »Sie war ein Besen und hat immer ihren Kopf durchgesetzt«, flüsterte er Stella zu. »Sie hatte echt Eier, das alte Mädchen.« Das Handy summte wie ein Moskito in Jumbojet-Größe und schreckte die gesamte Trauergemeinschaft auf. Sogar Otto selbst war es peinlich. Trotz panischen Herumwischens auf dem Display gelang es ihm nicht, den Ton abzustellen, also setzte er sich einfach drauf. Mit dem Erfolg, dass das Handy sich nun anhörte, als würde ein Moskito unter der Leibesfülle eines dicken Mannes verzweifelt um sein Leben kämpfen. Nach einer Weile verstummte das Summen. »Ich hab gerade erst meinen Blackberry gegen das verfluchte Ding ausgetauscht. Hab vergessen, wie man es stumm stellt«, wisperte er. Zehn Minuten später meldete das verfluchte Ding sich erneut. Otto verschwand summend nach draußen. Und kam nicht mehr zurück.
Nach der Trauerfeier fing er Stella vor der Tür ab. »Ich muss mit dir reden.«
»Aber ich bin mit den anderen zum Kaffeetrinken verabredet«, protestierte sie.
»Ich fahr dich hin.«
Es war Montag, der 18. September, einer der für München typischen herrlichen Spätsommertage, wenn auch schon etwaskühl für
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