Es sterben immer drei
billige Kopie bei einem Straßenhändler gekauft, in dem Glauben, sie würde den Unterschied nicht erkennen? Morgen wird sie das Leder untersuchen. Es interessiert sie, ob er im entscheidenden Moment seinen kleinlichen Impulsen nachgegeben hat, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass sie seine großzügige Geste durchschauen und das Berechnende dahinter bemerken würde. Immer wieder seine lächerlichen Versuche, sie auszutricksen. Bildet er sich wirklich ein, ihre Liebe mit einem teuren Accessoire kaufen zu können? Oder mit 100 000 Euro?
Das Geld wäre in einer seiner Sporttaschen aus Nylon besser aufgehoben, aber nein, er versucht, ihr mit einer hilflosen Symbolik zu imponieren, die sie für romantisch halten soll. Wie dumm er ist. Er begreift nichts. Er hat keine Ahnung. Würde er das Spiel so gut beherrschen wie sie, hätte er sie durchschaut. Dann wäre ihm das alles nicht passiert. Selber schuld. Blödmann.
Er glaubt, sie wird zu ihm zurückkehren, spätestens wenn die 100 000 Euro aufgebraucht sind. In einem Jahr oder zwei. Er kann sich nicht vorstellen, wie lange sie von diesem Geld leben wird, jetzt, wo sie bereit ist, auf allen Luxus zu verzichten.
Das Versteck für das Geld hat sie sorgfältig ausgesucht. Kein Mensch wird es finden, auch er nicht. Die Tür zur Quelle quietscht in den Angeln, von den Mauern tropft die Nässe. Wasser rauscht. Innen, in der feuchten Luft, ist es kühl und dämmrig. Sie zittert und merkt erst jetzt, wie erschöpft sie ist, von Staub und Hitze, von Aufregung und der Angst, er könnte sich im letzten Moment doch noch wehren. Sie bleibt stehen, bis ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt sind. Auf den Betoneinfassungen der Wasserbecken wachsen Moos und Schimmel. Durch das zerbrochene Fenster wehen einzelne Blätter und verklumpen am Boden zu moderigem Matsch. Sie bewegt sich vorsichtig, auf keinen Fall darf sie stürzen und sich verletzen. Sie muss rechtzeitig hier weg. Draußen geht langsam die Sonne unter und wirft die zitternden Schatten der Äste an die Wand. Das Versteck ist sicher. Hier kann das Geld bleiben. Bis morgen, höchstens übermorgen.
Sie stellt die Tasche ganz nach hinten in die Nische zwischen den Betonbecken und verklebt das Gitter davor sorgfältig mit nassem Laub. So ist das Türkis von außen kaum noch zu sehen.
Wie froh sie war, ihm zu begegnen. Genau der Richtige für ihren Plan. Arrogant, gierig und geil. Ihr gefiel der Gedanke, ihn zu lehren, wie eine unglückliche Liebe sich anfühlt.
Sie zieht die Eisentür hinter sich zu. Das Schloss ist längst verrostet. Egal. Niemand aus dem Dorf wird diesen steilen Abhang hinunter zur Quelle nehmen, es gibt keinen Grund dafür, solange die Kühe oben auf den Hügeln weiden und die Jagdsaison noch nicht begonnen hat. Im Schießstand an der großen Zypresse nimmt noch niemand das Wild ins Visier. Während sie wieder nach oben klettert, bringen die letzten Sonnenstrahlen den Horizont zum Glühen. Morgen wird wieder ein schöner Tag sein. Was sonst.
Vom Dorf ist Lachen zu hören, ein Auto startet, Hunde bellen. Sie muss sich beeilen, um vor der Dunkelheit das Haus zu erreichen. Sie geht rasch voran, trotz der Dornen. Ein Kinderliedfällt ihr ein. Summend versucht sie sich an Worte und Melodie zu erinnern. Ein Männlein steht im Walde/Ganz still und stumm/ Es hat von lauter Purpur ein Mäntlein um/Sagt, wer mag das Männlein sein/das da steht im Wald allein/Mit dem purpurroten Mäntelein. Sie singt so laut sie kann. Stolz und frei. So fühlt sich das Glück an, denkt sie und betrachtet ihre zerkratzten, blutigen Hände, das reine, unschuldige, gottverdammte Glück.
Der Anblick der schönen jungen Frau auf seinem Seziertisch weckte die poetische Ader des Gerichtsmediziners, die er lange schon durch die Last seines hässlichen Alltags verschüttet geglaubt hatte. Ihr Herz klopfte noch voller Sehnsucht, als ihr Kopf schon zu einem blutigen Klumpen schmolz, schrieb er zum Erstaunen des ermittelnden Maresciallos in seinem Autopsiebericht. Die Kugel traf sie von vorn mitten in die Stirn und zerschmetterte ihr Gesicht . Der Tod schlug aus heiterem Himmel zu.
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Es sterben immer drei. Dieser Spruch ihrer Mutter kam Stella in den Sinn, während sie zuschaute, wie zwei bleiche Friedhofswärter in grauen Uniformen den Sarg millimeterweise nach rechts und wieder nach links ruckelten, bis er akkurat in der Mitte des Olivenhains für die Trauerfeier stand. Sie lächelte die beiden Männer an, die nur
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