Es wird Tote geben
Draht auf und ließ den Korken in den Garten schießen.
„Stopp stopp stopp!“, rief Sanders und hielt sein Glas unter die überschäumende Flasche. „Na, Sie haben Nerven …“
„Helfen Sie mir?“, fragte Schäfer, nachdem sie das erste Glas ausgetrunken hatten.
„Wobei denn?“
Ohne eine Antwort zu geben, verschwand Schäfer hinter dem Haus und kam kurz darauf mit einem Spaten und einer Spitzhacke wieder. Er lehnte das Werkzeug an die Hausmauer und schaute zu Sanders, der zögerlich aufstand.
„Was haben Sie denn vor?“
„Beerdigung.“ Schäfer holte die Champagnerkiste und trug sie behutsam zum Holunderstrauch. „Nehmen Sie bitte den Spaten und die Hacke?“
„Ist das …“, flüsterte Sanders und stolperte Schäfer hinterher, „ist das die Katze?“
„Ja.“ Schäfer stellte die Kiste ab und wandte sich Sanders zu. Dem flossen die Tränen über die Wangen.
„Das ist … das ist wirklich traurig … Verzeihung, ich bin … ich habe sie ja gar nicht wirklich gekannt, aber …“
„Schon gut“, meinte Schäfer und griff sich die Spitzhacke, „sie war schon alt … das ist der Lauf der Dinge.“
„Ich weiß“, Sanders wischte sich über die Augen und schluchzte, „ich habe eben eine melodramatische Ader … als Winnetou gestorben ist, habe ich sicher eine Stunde geheult.“
„Wie kommen Sie jetzt auf Winnetou?“ Schäfer hielt inne und musste lächeln.
„Weiß ich nicht … ist halt unter den Top Ten bei Abschiedsszenen.“
„Und da kommt schon der wichtigste Trauergast.“ Schäfer deutete mit dem Kopf zum Gartenzaun, auf dem sich eben der Rabe niedergelassen hatte. Regungslos schauten sie dem Vogel zu, der nun in den Garten hüpfte und langsam in Richtung Holzkiste schritt. Er umkreiste sie zwei Mal und blieb dann in etwa einem Meter Abstand stehen.
„Also dann.“ Schäfer seufzte und stach den Spaten in die Erde.
Später saßen sie in den Liegestühlen und schauten schweigend in den Sonnenuntergang. Als der Himmel von grau- zu nachtblau wechselte und die Venus Gesellschaft von anderen Sternen bekam, stand Schäfer auf und schlichtete Holzscheite auf die Feuerstelle.
„Darf ich Sie wieder einmal besuchen?“, fragte Sanders, als Schäfer eine Flasche Wein entkorkte.
„Müssen Sie sogar … ich schulde Ihnen noch ein Zwei-Tage-Interview.“
„Stimmt … aber was ich in den letzten Wochen mit Ihnen erlebt habe, ist sowieso mehr als in meinem ganzen Leben davor.“
„Sie haben den Fall Materna erst ins Rollen gebracht.“
„Aber nur, weil Sie mir die Akten anvertraut haben.“
„Weil ich geglaubt habe, dass sowieso nichts Verwertbares drinsteht.“
„Aber Sie sind draufgekommen, dass der Stark was mit der Materna gehabt hat … außerdem haben Sie den Pokal entdeckt!“
„Wäre ich ohne Ihre Hilfe nie draufgekommen … und bei Brandt haben Sie mir auch geholfen.“
„Ich sollte die Story an eine Zeitung verkaufen …“
„Nein.“
„War nur ein Scherz … ich will ja nicht, dass Sie mich mit Betonschuhen in die Donau werfen.“
„Eben.“
„Wollen Sie sich nicht eine neue Katze zulegen?“ Sanders dauerte das Schweigen offenbar schon zu lange.
„Nein.“
„Und der Rabe?“
„Was ist mit dem?“
„Na ja … einsam wird er sein.“
„Da muss er durch … nach einer angemessenen Trauerphase findet er sicher wieder eine neue Spielgefährtin.“
„Und bis dahin muss er halt Schwarz tragen.“ Sanders kicherte.
„Na, endlich haben Sie Ihren Humor wiedergefunden … zum Wohl.“
„Zum Wohl, Herr Major … und heute schießen Sie bitte auf keine Flaschen.“
„Keine Sorge … mein Herz ist voller Frieden.“
Georg Haderer
© Foto: Ricardo Herrgott
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© 2013
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Innsbruck-Wien
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ISBN 978-3-7099-7643-2
Umschlag- und Buchgestaltung, Satz: hœretzeder grafische gestaltung, Scheffau/Tirol
Coverfoto: Ricardo Herrgott
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