Ewige Nacht
deprimierte ihn das.
Der mit der Brille ging hinter ihm die Treppe hinunter, er nuschelte leise etwas in sein Telefon, was sich Unheil verkündend anhörte.
Zwanzig Minuten später stieg Timo im Hof des Hauptquartiers in der Avenue Adolphe Buy aus dem Wagen. Er pfiff leise vor sich hin. ›Put the Blame on Mame‹ folgte nicht ganz den Noten, beruhigte ihn aber. Er schrieb eine SMS an Aaro zu Ende. Das hatten sie ihm immerhin nicht verboten. Auf der Mailbox hatte er bereits zwei Nachrichten hinterlassen.
Der bleigraue Himmel über den nichts sagenden Bürogebäuden verhieß Regen. Die Gebäude unterschieden sich kein bisschen voneinander. Auch Nummer 327 machte keine Ausnahme. Durch dessen Hintertür trat Timo hinter dem Franzosen ein. Erdgeschoss und vier Stockwerke, Beton, der in den 70er Jahren als »modern« galt, rote Klinker zur Verzierung. Nichts an der Fassade gab einen Hinweis auf die Bewohner dieses Hauses.
Nach dem 11. September hatten die Mitgliedsstaaten der EU den Kampf gegen den Terrorismus durch die Gründung einer operativen Ermittlungseinheit gegen Terrorismus, organisiertes Verbrechen und radikale Organisationen intensiviert. So war TERA entstanden, die Agence pour la lutte contre le Terrorisme, Extremisme et Radicalisme.
Als Einheit war TERA so stark wie ihr Name. Kilo, mega, giga, tera … Europol war als Organisation der Megaklasse vorgesehen, deren Zuständigkeit aber nur bis zur Koordination der Ermittlungen reichte. Die als Einheit der Gigaklasse geplante, halb geheime Trevi hatte die selbst gesteckten Ziele nie erreicht.
Als dann TERA geschaffen wurde, vermied man die Fehler von früher. TERA war auf der Grundlage von Regierungsverträgen gegründet worden, wodurch sie unabhängig von den anderen Institutionen der EU fungierte – geheim, flexibel, den jeweiligen Aufgaben gemäß. Diese Einheit konnte es sich nicht leisten, die langsamen Kompromisse der Mitgliedsstaaten abzuwarten, denn ihr standen die dreistesten und fanatischsten Männer der Welt gegenüber. Für die Gründung von TERA hatte man deshalb ausschließlich Profis der höchsten Kategorie ausgesucht: Alain Lefebvre vom französischen Geheimdienst DGSE, Helmut Körpen vom deutschen Verfassungsschutz und Tony Wilson vom britischen Geheimdienst MI5.
»Ich werde jetzt mit meiner Vorgesetzten reden«, sagte Timo in der Eingangshalle und zog sich die Hosen hoch. »Allein.«
Der mit dem Vokuhila-Schnitt nickte säuerlich. Er ging auf die Glaskabine zu, in der ein Wachmann saß, und läutete. Der Wächter öffnete für Timo das elektronische Schloss am Aufzug. Schon hier in der Eingangshalle erkannte man die Einstellung und Prinzipien der alten Hasen, die TERA zusammengestellt hatten: keine Fingerabdruck-, Augenhintergrund-oder Iriserkennung, auch keine Chipkarten, sondern ein Mensch, der jeden einzelnen Mitarbeiter der kleinen Einheit kannte.
Leute, die gegen die IRA und Baader-Meinhof, gegen die Roten Brigaden und die ETA gekämpft hatten, brauchten kein elektronisches Spielzeug. Ihnen genügte es, dass ihnen Spitzentechnologie und junge Computerfreaks dann zur Verfügung standen, wenn es nötig war. Für die Zerstörung von Organisationen wie al-Qaida waren sie unerlässlich. TERA hatte relativ wenige Mitarbeiter, aber alle standen in direktem Kontakt mit der Führung ihrer jeweiligen nationalen Organisationen. Jeder Mitgliedsstaat war in der Einheit vertreten, und aus der EU-Kommission war ein hoher Beamter der Kategorie Al dabei.
Finnland verfügte über keine speziellen Erfahrungen mit der Terrorismusabwehr, dafür umso mehr im Bereich der nachrichtendienstlichen Tätigkeit. Der entsprechende Ruf gründete sich auf die Funkaufklärung während des Krieges, als das kleine Land mit seinen geringen Ressourcen legendäre Erfolge erzielt hatte. Das Ansehen als Russland-Expertin, das sich die finnische Sicherheitspolizei in den Jahren des Kalten Krieges erworben hatte, stand außerhalb jeder Diskussion. Außerdem hatte sie in den 90er Jahren zusammen mit der Nationalen Kriminalpolizei KRP sehr früh Tuchfühlung mit der Ostmafia aufgenommen.
Als Repräsentant dieser Kompetenz war Timo bei TERA. Die kriminellen Organisationen Russlands hatten sich nach Westeuropa ausgebreitet, und zwar mit einer in der Geschichte der Kriminalität einzigartigen Geschwindigkeit und Massivität. Timo war bei Einsätzen der Miliz in Sankt Petersburg und Moskau dabei gewesen und wusste, wozu Banden wie die Tambover, Malusever, Kasaner oder Permer
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