Ex en Provence
Place du Marché, L’Oublie-en-Provence.
Genau hier bin ich, aber hier ist doch wohl nicht die Wohnung, die ich für Jule und mich ausgesucht habe?! Ich meine, ich war ja froh, überhaupt etwas gefunden zu haben – nach all diesen Gruselgeschichten, die mir Bekannte von ihren Studienjahren in Paris erzählt hatten: fünf Quadratmeter Abstellkammer mit Blick aufs Klo der Nachbarn nach zweimonatiger Suche, Unsummen von Bestechungsgeldern und für eine Miete auf Élysée-Palast-Niveau.
Zwar bin ich nicht in Paris, aber wer weiß, was mich jetzt bei diesem quasi blind gemieteten Objekt erwartet? Am liebsten würde ich auf meinen grünen Converse kehrtmachen, das ganze verrückte Projekt »Auslandsjahr« abblasen und mich wieder in meine heimelige Altbauwohnung in Prenzelberg flüchten. Wenn ich sie doch bloß nicht untervermietet hätte und vor Ralph die Blamage einer vorzeitigen Rückkehr nicht ganz so groß wäre. Wenn er ein neues Leben anfangen will, dann kann ich das schon lange!
Mein altes Leben ging übrigens mit dieser SMS zu Ende, die vor ziemlich genau sechs Monaten auf meinem Handy landete.
Vermisse dich schrecklich. Zähle schon die Stunden, bis wir uns wiedersehen. Lass dich küssen.
Absender: Ralph. Mein Mann.
Und genau das war das Problem! Noch nie zuvor hatte ich von ihm irgendeine Liebes- SMS bekommen. Und sein Verlangen konnte eigentlich nicht sonderlich groß sein. Schließlich hatten wir beide gerade mal eine Stunde zuvor zusammen gefrühstückt und uns dabei weitgehend angeschwiegen – mal abgesehen von so existenziellen Themen wie, wer denn nun endlich den Klempner wegen dieses blöden Wasserhahns anruft und dass es bei Ralph am Abend zum vierten Mal in dieser Woche »ausnahmsweise« etwas später werden könnte, weil sich die Deadline für sein Projekt nähert und er so furchtbar viel um die Ohren hat, weshalb natürlich ich den Klempner anrufen musste. Das Übliche eben.
Schwer vorzustellen, dass er die Stunden bis zu unserem Wiedersehen zählte. Und überhaupt passte so eine SMS einfach nicht zu Ralph. Obwohl ich ihm früher – als er noch der absehbar arbeitslose, aber idealistische Philosophiestudent im Nachbarzimmer meiner WG war – diese Leidenschaft vielleicht sogar zugetraut hätte. Aber damals gab es noch keine SMS .
Und von dem Ralph, der nach seinem BWL -Aufbaustudium zum vielbeschäftigten Unternehmensberater mutierte, gab es auch in SMS -Zeiten nur noch wenige Lebenszeichen – auf jeden Fall aber keine Sehnsuchtsbekundungen. Er hatte zwar ein tolles neues Smartphone, mit dem er gern mal das Wetter auf Mauritius oder die wichtigsten Slang-Ausdrücke in Mandarin checkte, aber eine Liebes- SMS ?
Im ersten Moment glaubte ich aber trotzdem an eine wundersame Wandlung meines in Romantik und Aufmerksamkeit nicht gerade hochtalentierten Gatten. Immerhin gab es, wenn man großes Wohlwollen walten ließ, durchaus ein paar Anhaltspunkte für diesen Optimismus: Am Abend vor jener folgenreichen SMS hatten wir nämlich mal wieder einen Riesenkrach gehabt, uns aber ungewöhnlich eifrig versöhnt – sogar mit ein bisschen Sex, nicht heiß, eher lauwarm, aber immerhin. Also eigentlich ein recht gutes Zeichen, Wasserhahn-Klempner-Diskussion hin und ständige Überstunden her.
Wir wollten am Wochenende sogar schön zusammen essen gehen, um einen Neuanfang unserer Beziehung zu feiern. Ralph wollte sich für unser Restaurant-Date selbst darum kümmern, den Babysitter zu bestellen – ein Ereignis mit Seltenheitswert.
Ich schrieb also zurück:
Bin auch froh, dass wir uns versöhnt haben. Kuss, Anja.
Gleich darauf dachte ich, dass ich ja doch etwas mehr Romantik hätte einfließen lassen können. Ralph antwortete nämlich nicht. Zunächst jedenfalls nicht. Ein paar Stunden später aber kam die nächste SMS :
Meine Süße, es dauert noch so lange. Du fehlst mir.
»Meine Süße!« Jetzt dämmerte mir langsam, dass es die Fundamentaldaten sein mussten, mit denen hier irgendetwas nicht stimmte. Ich rief Ralph an, und er leugnete entschieden, mir überhaupt irgendeine SMS geschickt zu haben.
Natürlich wollte ich der Sache nachgehen. Aber dann bekam Jule Fieber und Halsschmerzen, und wir gingen zum Kinderarzt. Verdacht auf Scharlach, striktes Kindergartenverbot. Ich musste also in meiner Schule eine Vertretung organisieren und zu Hause Arbeitsbögen für meine Klasse vorbereiten, während sich Jule nach kurzer Zeit schon wieder fit genug fühlte zum
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