Exodus
rückständig, daß sie einfach nichts begriffen. Zwar stand es in Abu Yesha, seit Kammal hier Muktar geworden war, besser als in irgendeinem anderen arabischen Dorf in Galiläa; doch die Verhältnisse waren noch immer primitiv.
Kammal fand es seltsam, daß jetzt plötzlich so viele Juden nach Palästina kamen, und da er dahinterkommen wollte, was das zu bedeuten hatte, pflegte er bewußt freundschaftlichen Umgang mit Yossi Rabinski.
Yossi versuchte, Kammal dazu zu bewegen, ihm ein Stück Land, das nicht kultiviert werden sollte, zu verkaufen, um eine jüdische Siedlung zu errichten; doch Kammal hatte Bedenken. Er fand diese Juden verwirrend. Er wußte nicht, ob man ihnen trauen konnte; denn zweifellos waren nicht alle so wie Yossi Rabinski. Außerdem wollte er nicht der erste Effendi sein, der im Hule-Tal Land verkaufte.
Wie Kammal von Yossi lernte, so lernte auch Yossi von Kammal. Bei aller Aufgeklärtheit war Kammal durch und durch Araber. Er hatte drei Frauen, von denen er niemals sprach, denn für einen Araber war die Frau nicht viel mehr als eine Sklavin. Kammal war stets gastfreundlich und höflich, doch wenn es ans Handeln ging, konnte er sehr hart sein. Gelegentlich bat er Yossi sogar um Rat in irgendeiner Sache, bei der es sich ausgesprochen darum handelte, jemanden übers Ohr zu hauen; doch das erschien dem Araber völlig legitim.
Durch Kammal erfuhr Yossi Rabinski vieles über die ruhmreiche und tragische Geschichte des arabischen Volkes. Er hörte von dem kometenhaften Aufstieg des Islam, von der Zeit, da Bagdad und Damaskus kulturelle Zentren gewesen waren wie einst Athen, von den Kriegen zwischen den Mohammedanern und den Kreuzrittern und von den Einfallen der Mongolen.
Die Araber hatten ihre Kräfte in endlosen Kämpfen erschöpft, bis schließlich der Glanz ihrer ruhmvollen Städte erloschen und die blühenden Oasen verfallen und versandet waren. Sie wandten sich mehr und mehr gegen sich selbst, in erbitterten Kämpfen, in denen Bruder gegen Bruder stand. So waren sie nicht mehr fähig, den letzten vernichtenden Schlag abzuwehren, den diesmal die eigenen Glaubensgenossen gegen sie führten. Die mächtigen Ottomanen eroberten das Land der Araber, und es folgten fünf Jahrhunderte des Feudalismus und der Korruption. Ein Tropfen Wasser wurde in der unfruchtbaren Wüste wertvoller als Gold und Spezereien. Das Leben wurde zu einem unablässigen, erbitterten Kampf um die nackte Existenz. Die arabische Welt, in der es kein Wasser mehr gab, zerfiel und versank im Dreck. Seuchen brachen aus, und überall herrschten Unwissenheit und Armut. In dieser Welt waren Betrug, Verrat, Mord und Blutrache an der Tagesordnung. Die grausame Wirklichkeit zwang den Araber zu einer Verhaltensweise, die Außenstehenden unverständlich war.
Für Yossi Rabinski hatte die Vielseitigkeit des arabischen Charakters etwas Faszinierendes. Stundenlang konnte er in Jaffa in den Läden stehen und den Arabern zusehen, die endlos feilschten und sich dabei laut beschimpften. Er sah, daß die Lebensart der Araber einem Schachspiel glich. Jeder Zug erfolgte mit hinterhältiger Schläue, die darauf ausging, den Partner zu überlisten.
Bei seinen Expeditionen für den Landkauf wurde Yossi mit den skrupellosen Methoden der Araber vertraut. Doch wenn er das Heim eines Arabers betrat, war er stets von neuem beeindruckt von ihrer nicht zu überbietenden Gastfreundlichkeit. Habgier und Genußsucht, Haß und Schläue, Hinterlist und Gewalt, Freundlichkeit und Wärme — sie alle waren Bestandteile des phantastischen Gemischs, das den arabischen Charakter für den Außenseiter zu einem erstaunlichen Rätsel machte.
Jakob blieb nicht lange in Sde Tov. Die Versuchsfarm war ein Fehlschlag gewesen. In seinem Innern sah es nicht anders aus als vorher, und er wanderte weiter ruhelos durch das Land, auf der Suche nach dem Platz, an den er gehörte.
Im Jahre 1905 brach in Rußland die Revolution aus, die schon lange geschwelt hatte. Sie wurde niedergeschlagen. Doch die mißglückte Revolution war das Signal für neue Pogrome, die so grauenhaft waren, daß sich die ganze zivilisierte Welt entsetzte. Mehrere hunderttausend Juden verließen Rußland. Die meisten gingen nach Amerika, einige kamen nach Palästina.
Die Juden, die jetzt in das Gelobte Land kamen, gehörten einer neuen Generation an. Sie waren nicht geflohen wie die beiden Brüder Rabinski, und sie hatten auch nicht die Absicht, hier Handel zu treiben. Es waren junge Leute, geschult im
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