Exodus
beladen mit den Früchten der Felder des Jugenddorfes. Jeeps und Erntewagen kamen vorbei, über und über geschmückt mit Blumen. Es kamen Wagen, auf denen Kinder in Farmerkleidung mit Harken, Sensen und anderen Werkzeugen in der Hand standen.
Das Vieh des Dorfes zog vorbei, angeführt von den Kühen, die mit Blumen und bunten Bändern geschmückt waren. Es folgten die Pferde mit glänzend gestriegeltem Fell, Mähnen und Schwänze in Zöpfe geflochten. Die Schafe und die Ziegen wurden vorbeigetrieben, und die Kinder trugen ihre Lieblinge, Hunde und
Katzen, ein Äffchen, weiße Mäuse und Hamster vorbei.
Kinder zogen vorüber und hielten Stoffe in der Hand, die sie gesponnen und gewebt, und Zeitungen, die sie gedruckt hatten. Sie zeigten Kunsthandwerksgegenstände, Körbe und Keramik aus ihren eigenen Werkstätten. Die Leichtathleten und Sportmannschaften des Jugenddorfes marschierten vorbei, von den Zuschauern und Gästen mit lauten Zurufen begrüßt.
Dr. Liebermanns Sekretärin kam zu ihm heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte er. »Ich werde dringend am Telefon verlangt.«
»Fassen Sie sich kurz und kommen Sie schnell wieder her«, rief Harriet Salzmann ihm nach.
Die Lampen in den Bäumen gingen aus, und das Theater lag einen Augenblick im Dunkeln, bis der Scheinwerfer anging, der die Bühne beleuchtete. Der Vorhang öffnete sich, eine Trommel ertönte, und auf einer Flöte aus Schilfrohr ertönte eine alte Melodie. Begleitet von der wehmütigen Monotonie der beiden Instrumente begannen die Kinder, eine Pantomime aufzuführen: Das Lied der Ruth.
Die Kostüme der Kinder waren historisch, und ihr Tanz entsprach den langsamen und ausdrucksvollen Gebärden, wie sie überliefert waren aus der Zeit, da Ruth und Naomi gelebt hatten. Dann traten andere Tänzer auf, die wilde Sprünge vollführten und leidenschaftliche Erregung ausdrückten.
Wie waren diese Kinder von der Aufgabe erfüllt, die Vergangenheit ihres Volkes wieder lebendig werden zu lassen, dachte Kitty. Mit welcher Inbrunst setzten sie sich dafür ein, den Ruhm Israels neu erstehen zu lassen.
Jetzt betrat Karen die Bühne, und unter den Zuschauern entstand erwartungsvolle Stille. Karen tanzte die Rolle der Ruth. Ihre Gebärden berichteten die so einfache und so großartige Geschichte von dem Mädchen aus dem Volk der Moabiter, die mit ihrer hebräischen Schwiegermutter nach Bethlehem zog — dem Hause des Brotes. Die Geschichte der Liebe und des einziges Gottes, die seit den Tagen der Makkabäer immer wieder beim Schawuot-Fest berichtet worden war. Ruth war eine Fremde gewesen, eine Ungläubige im Lande der Juden. Und doch gehörte sie zu den Vorfahren des Königs David.
Kitty war mutlos wie nie zuvor. Sie war eine Fremde hier, und sie würde immer eine Fremde bleiben, eine Ungläubige unter den Hebräern. Und es war ihr nicht möglich, wie Ruth zu sagen: »Wo du hingehst, da will auch ich hingehen; dein Volk sei mein Volk, und dein Gott sei mein Gott.« Bedeutete das, daß sie Karen verlor? Dr. Liebermanns Sekretärin berührte Kitty an der Schulter: »Dr. Liebermann läßt Sie bitten, sofort in sein Büro zu kommen.«
Der Weg war dunkel, und Kitty mußte auf die Laufgräben achten. Sie nahm ihre Taschenlampe und leuchtete damit den Boden ab. Sie überquerte die Grünfläche und kam an der Statue von Dafna vorbei. Hinter sich konnte sie das Schlagen der Trommeln und das Weinen der Flöte hören. Sie ging rasch zu dem Verwaltungsgebäude und öffnete die Tür zu Dr. Liebermanns Büro.
»Um Gottes willen«, sagte sie, durch den Ausdruck seines Gesichtes erschreckt. »Was ist los? Sie machen ein Gesicht, als hätten Sie —« »Man hat Karens Vater gefunden«, sagte er leise.
Am nächsten Tag brachte Bruce Sutherland Kitty und Karen nach Tel Aviv. Kitty hatte erklärt, daß sie einige dringende Einkäufe machen müsse und Karen bei der Gelegenheit endlich einmal die Stadt zeigen wolle. Sie erreichten Tel Aviv gegen Mittag und begaben sich in das Gat-Rimon-Hotel auf der Hayarkon-Straße, unmittelbar am Mittelmeer. Nach dem Essen bat Sutherland, ihn zu entschuldigen, und ging in die Stadt. Während der Mittagsstunden waren die Läden geschlossen. Kitty und Karen schlenderten den sandigen Strand unterhalb des Hotels entlang und erfrischten sich dann durch ein Bad im Meer.
Gegen drei Uhr bestellte Kitty ein Taxi. Sie fuhren zum RothschildBoulevard und hielten Ecke Allenby-Road. Durch die Allenby-Road mit ihren vielen
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