Falsches Spiel
konnte es nicht fassen. Normalerweise verlangte ich dreitausend pro Tag plus Spesen. Für fünfzigtausend hätte ich dem Teufel meine Seele verkauft. Mit dem Geld konnte ich María rückwirkend die fünf Monate Lohn zahlen und meine Schulden bei Espiño auf einen Schlag begleichen, und mir blieben immer noch mehr als einhundertfünfzigtausend. Ich sagte Sandra, mit dem Geld seien die zwei Wochen abgegolten, dabei hätte ich genauso gut zwei Monate sagen können, denn es war schlichtweg unmöglich, dass die Spesen diesen Betrag überstiegen, selbst wenn ich auf den Mond fliegen müsste.
Sie bemerkte locker, ich sollte mir wegen des Geldes keinen Kopf machen, ihr Mann sei ein angesehener Chirurg, der für jede Herzoperation ein Vermögen kassierte, außerdem habe sie ein beachtliches Sümmchen von ihrer Großmutter geerbt, Gott hab sie selig. Sie machten nicht den Eindruck, als wären sie Millionäre, mitnichten, aber offensichtlich litten sie keine finanzielle Not; und was kann einem unterbeschäftigten Detektiv Besseres passieren als ein gut betuchter Mandant.
Ich fuhr zu La Giralda und bestellte Schokolade mit Churros. Seit Monaten schon wünschte ich mir ein solches Frühstück, und ich konnte es kaum erwarten, mir meinen Traum zu erfüllen. Ich setzte mich an einen der Tische an der Seite und öffnete den Umschlag, den Forrester mir gegeben hatte. Am besten brachte ich dieses Material dann gleich zu Espiño, denn sonst war ich es bald los. Alles, was man mir gab, verschwand im Durcheinander meines Büros und tauchte nie wieder auf. María half mir noch dabei, Dinge zu verlieren, denn sie war unfähig, ein Archiv auf dem aktuellen Stand zu halten. Wenn ich wegen des Chaos tobte, kam sie immer mit dem Spruch »hier geht nichts verloren, es ist alles nur gut versteckt«.
Ich blickte Richtung Avenida Corrientes. Ein Zeitungsverkäufer pries die Morgenausgaben von Crónica , La Nación und Clarín an. Während ich genüsslich in den zweiten Churro biss, beschloss ich, mich sofort an die Arbeit zu machen. Erst sah ich mir eine Weile die Fotos von Carla an, als läge vielleicht in ihnen der Schlüssel des Geheimnisses. Carla in der Schule, an der Uni, mit Freunden, im Urlaub mit ihren Eltern, im Urlaub mit Kommilitonen, auf Partys. Rein nichts. Alles absolut normal für ein zwanzigjähriges Mädchen. Sie war etwa eins sechzig groß, gut gebaut und wunderhübsch: kurzes schwarzes Haar und grüne Augen. Kein Wunder, dass die Männer auf sie flogen. Ein äußerst attraktives Mädchen mit einem warmherzigen und zugleich klugen Blick.
Ich trank den letzten Rest der heißen Schokolade, steckte mir eine Zigarette an und las die eineinhalb Seiten, die Juan Carlos Forrester niedergeschrieben hatte. Er sprach unter anderem von Carlas temperamentvollem Wesen und enthüllte ihren Charakter so lieblos, als spräche er von einer Fremden.
Carla ist ein junges Mädchen, das immer alles in Frage stellt. Zu ihr passt der Satz »ich weiß nicht, worum es geht, aber ich bin dagegen« perfekt. Sie kann sehr sarkastisch sein und macht ständig Scherze über ihren Todestag und den der Menschen, die sie liebt. Ihre Freunde sind normal, soweit man das von Menschen sagen kann, die Kunstgeschichte studieren und mit den Füßen gewöhnlich einen Meter über dem Boden schweben. Aber in den drei Jahren Studium hat sie sich immer Leuten angeschlossen, die trotz aller Generationsunterschiede sowohl von Sandra als auch von mir akzeptiert wurden. Sie war nie schwer krank, und nur einmal hat sie sich in einen jungen Mann verliebt, den sie unter großem Schmerz verließ, als er ihr untreu war. Damals behauptete sie, sich nie mehr wirklich auf eine Beziehung einlassen zu wollen, doch Sandra und ich haben sie nicht ernst genommen. In den letzten beiden Jahren schien sie danach zu handeln, und wir haben nur Verehrer kennengelernt, die sie bei der nächstbesten Gelegenheit vergraulte. Ihre beste Freundin heißt María Inés Acosta, ebenfalls Kunststudentin. Sie ist Carla geradezu hörig. Im Grunde ist María Inés wohl verliebt in Carla, aber sie sagt es ihr nicht, weil sie weiß, wie sehr Carla Lesben verachtet. Außerdem ist Carla eng mit einem ziemlich übergeschnappten Typen befreundet, José Luis Marino. Mit Ringen an den Fingern und Hippiefrisur. Ein armseliger Kerl, dem die Frauen wegen seines esoterischen Gefasels hinterherlaufen. Mir kann der nichts vormachen, und das sagte ich auch mehrfach zu Carla, was dann in erbittertem Streit endete. Für
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