Farm der Tiere
schweigend vor der Tür des Farmhauses stehen. Auch das gehörte ihnen, aber sie fürchteten sich davor hineinzugehen.
Nach einer Weile jedoch stießen Schneeball und Napoleon die Tür mit ihren Schultern auf, und die Tiere traten im Gänsemarsch ein und gingen mit äußerster Behutsamkeit weiter, um nur ja keine Unordnung zu stiften.
Sie zehenspitzten von Zimmer zu Zimmer, trauten sich gerade noch zu flüstern und besahen mit einer Art Ehrfurcht den unglaublichen Luxus, die Betten mit ihren Federmatratzen, die Spiegel, das Roßhaarsofa, den Brüsseler Teppich, die Lithographie der Königin Victoria über dem Kaminsims des Wohnzimmers. Sie kamen gerade die Treppe hinunter, da entdeckte man, daß Mollie fehlte. Die anderen kehrten um und suchten nach ihr; man fand sie im guten Schlafzimmer. Sie hatte von Mrs. Jones' Toilettentisch ein Stück blaues Band genommen, hielt es sich an die Schulter und bewunderte sich auf höchst törichte Art im Spiegel. Die anderen schalten sie heftig, und dann gingen alle hinaus. Etliche Schinken, die in der Küche baumelten, wurden zur Beerdigung nach draußen geschafft, und das Bierfäßchen in der Spülküche schlug ein Huftritt Boxers leck, doch ansonsten wurde im Haus nichts angerührt. Man faßte sogleich den einhelligen Beschluß, das Farmhaus als Museum weiterzuerhalten. Alle waren der Meinung, daß dort niemals ein Tier wohnen dürfe.
Die Tiere frühstückten, und dann wurden sie von Schneeball und Napoleon wieder zusammengerufen.
»Genossen«, sagte Schneeball, »es ist halb sieben, und wir haben einen langen Tag vor uns. Heute beginnen wir mit der Heuernte. Doch zuerst gilt es noch etwas anderes zu erledigen.«
Die Schweine enthüllten jetzt, daß sie sich während der vergangenen drei Monate das Lesen und Schreiben beigebracht hatten, und zwar aus einer alten Fibel, die einst den Kindern von Mr. Jones gehört hatte und anschließend auf dem Misthaufen gelandet war. Napoleon ließ Töpfe mit schwarzer und weißer Farbe herbeischaffen und ging voran hinunter zu dem Gittertor mit den fünf Querstangen, das auf die Hauptstraße führte. Dann klemmte sich Schneeball (denn Schneeball konnte am besten schreiben) einen Pinsel zwischen die beiden Klauen seiner Schweinshaxe, übermalte das Wort HERREN-FARM auf dem obersten Torbalken und schrieb dafür FARM DER TIERE hin.
So sollte von nun an der Name der Farm lauten. Hierauf gingen sie zu den Farmgebäuden zurück, wo Schneeball und Napoleon nach einer Leiter schickten, die sie an die Rückwand der großen Scheune lehnen ließen. Sie erklärten, daß es den Schweinen im Verlauf ihres dreimonatigen Studiums gelungen sei, die Prinzipien des Animalismus auf Sieben Gebote zu reduzieren.
Und diese Sieben Gebote würden jetzt an die Wand geschrieben werden; sie würden das unabänderliche Gesetz bilden, nach dem hinfort alle Tiere auf der Farm der Tiere leben müßten. Mit einiger Mühe (denn es fällt einem Schwein nicht leicht, auf einer Leiter zu balancieren) kraxelte Schneeball hoch und ging ans Werk, während ihm einige Sproßen tiefer Schwatzwutz den Farbtopf hielt. Die Gebote wurden in großen, weißen Buchstaben an die geteerte Wand geschrieben, so daß man sie aus dreißig Metern Entfernung lesen konnte. Sie lauteten wie folgt:
Die Sieben Gebote
1. Alles was auf zwei Beinen geht, ist ein Feind.
2. Alles was auf vier Beinen geht oder Flügel hat, ist ein Freund.
3. Kein Tier soll Kleider tragen.
4. Kein Tier soll in einem Bett schlafen.
5. Kein Tier soll Alkohol trinken.
6. Kein Tier soll ein anderes Tier töten.
7. Alle Tiere sind gleich.
Es war sehr sauber geschrieben, und abgesehen davon, daß ›Fruend‹ statt ›Freund‹ zu lesen war und ein ›s‹ seitenverkehrt, stimmte die Orthographie durchweg. Zum Nutzen der übrigen las es Schneeball laut vor. Alle Tiere nickten völlige Zustimmung, und die schlaueren begannen sogleich, die Gebote auswendig zu lernen.
»Nun, Genossen«, sagte Schneeball und warf den Malerpinsel hin, »zur Wiese! Ehrensache, daß wir die Ernte schneller einbringen, als es Jones und seine Leute tun könnten.«
Doch in diesem Augenblick ließen die drei Kühe, die sich schon seit geraumer Zeit unbehaglich gefühlt zu haben schienen, ein lautes Muhen vernehmen. Sie waren seit vierundzwanzig Stunden nicht mehr gemolken worden, und ihre Euter platzten fast. Nach kurzem Überlegen ließen die Schweine Eimer holen und molken die Kühe mit recht gutem Erfolg, da ihre Haxen für diese
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