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Fata Morgana

Fata Morgana

Titel: Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Erstes Kapitel
     
    M rs Van Rydock trat einen Schritt vom Spiegel zurück und seufzte.
    »Tja, so müsste es gehen«, murmelte sie. »Was meinst du, Jane?«
    Miss Marple fasste die Lanvanelli-Kreation kritisch ins Auge.
    »Ich finde, es ist ein wunderschönes Kleid«, sagte sie.
    »Gegen das Kleid ist nichts einzuwenden«, sagte Mrs Van Rydock und seufzte erneut.
    »Zieh es mir aus, Stephanie«, sagte sie.
    Die ältliche Zofe mit den grauen Haaren und dem kleinen, verkniffenen Mund streifte Mrs Van Rydock das Kleid vorsichtig über die hoch gestreckten Arme.
    Mrs Van Rydock stand in ihrem pfirsichfarbenen Satinunterkleid vor dem Spiegel. Ihr Körper steckte in einem perfekt sitzenden Korsett. Ihre noch immer ansehnlichen Beine waren von feinsten Nylonstrümpfen umhüllt. Ihr ständig durch Massagen aufgefrischtes, unter einer Kosmetikschicht verborgenes Gesicht wirkte selbst aus geringem Abstand noch fast mädchenhaft. Ihr Haar war nicht eigentlich grau, sondern schimmerte hortensienblau und war tadellos frisiert. Wenn man Mrs Van Rydock so sah, konnte man sich kaum vorstellen, wie sie wohl im Naturzustand aussah. Alles, was für Geld zu haben war, wurde für ihre Schönheit getan – unterstützt durch Diät, Massagen und regelmäßige gymnastische Übungen.
    Ruth Van Rydock sah ihre Freundin spitzbübisch an. »Was meinst du, Jane, würden viele vermuten, dass wir praktisch gleich alt sind, du und ich?«
    Miss Marple antwortete loyal. »Aber wo denkst du hin«, sagte sie beruhigend. »Ich allerdings sehe leider auf die Minute so alt aus, wie ich bin!«
    Miss Marple war weißhaarig, hatte ein weiches, rosiges, von Fältchen durchzogenes Gesicht und unschuldige porzellanblaue Augen. Sie sah aus wie eine ganz reizende alte Dame. Mrs Van Rydock hätte niemand eine reizende alte Dame genannt.
    »Tja, das tust du wohl, Jane«, sagte Mrs Van Rydock. Dann grinste sie plötzlich. »Aber ich auch. Nur nicht auf dieselbe Art. ›Bewundernswert, wie gut sich die alte Schachtel hält‹, sagen sie von mir. Aber sie wissen, dass ich eine alte Schachtel bin! Und bei Gott, ich fühl mich auch so!«
    Sie ließ sich schwer in einen satinbezogenen Polstersessel fallen.
    »Es ist gut, Stephanie«, sagte sie. »Du kannst gehen.«
    Stephanie nahm das Kleid auf den Arm und verließ das Zimmer.
    »Die gute alte Stephanie«, sagte Ruth Van Rydock. »Seit über dreißig Jahren ist sie jetzt bei mir. Sie ist die einzige Frau, die weiß, wie ich wirklich aussehe! Jane, ich möchte mit dir reden.«
    Miss Marple beugte sich leicht vor und sah Ruth gespannt an. Irgendwie wirkte sie in dem luxuriösen Schlafzimmer der teuren Hotelsuite fehl am Platz. Sie war in ziemlich tristes Schwarz gekleidet, hatte eine große Einkaufstasche bei sich und war von Kopf bis Fuß eine Dame.
    »Ich mache mir Sorgen, Jane. Um Carrie Louise.«
    »Carrie Louise?« Miss Marple wiederholte den Namen nachdenklich. Sein Klang versetzte sie weit in die Vergangenheit zurück.
    Das Pensionat in Florenz. Sie selbst, das rosig-weiße, im Schatten einer Kathedrale aufgewachsene englische Mädchen. Die beiden Martin-Schwestern, Amerikanerinnen, für die Engländerin aufregend wegen ihrer eigentümlichen Aussprache, ihrer geraden Art und ihrer Lebenslust. Ruth, hoch gewachsen, leicht zu begeistern, immer obenauf; Carrie Louise, klein, zierlich, verträumt.
    »Wann hast du sie zum letzten Mal gesehen, Jane?«
    »Ach, das ist Ewigkeiten her. Mindestens fünfundzwanzig Jahre. Aber wir schreiben uns natürlich noch Weihnachtskarten.«
    Freundschaft war schon etwas Merkwürdiges! Sie, die junge Jane Marple, und die beiden Amerikanerinnen. Ihre Wege hatten sich bald getrennt, und doch war die alte Zuneigung lebendig geblieben; gelegentliche Briefe, Grüße zu Weihnachten. Dass sie von den beiden Schwestern die in Amerika lebende Ruth öfter gesehen hatte, war eigenartig. Oder vielleicht auch nicht. Wie die meisten Amerikanerinnen ihrer Gesellschaftsschicht war Ruth Kosmopolitin. Sie war alle ein, zwei Jahre einmal nach Europa gekommen, war von London nach Paris geeilt und weiter an die Riviera, stets darauf bedacht, überall, wo sie war, wenigstens ein paar Minuten mit ihren alten Freundinnen zu verbringen. Es hatte viele solche Treffen gegeben. Im Claridge's oder im Savoy, im Berkeley, im Do r chester. Ein erlesenes Mahl, lieb gewordene Erinnerungen, dann ein rascher, herzlicher Abschied. Ruth hatte nie Zeit gehabt, nach St. Mary Mead zu kommen, aber das hatte Miss Marple auch nie

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