FBI: Die wahre Geschichte einer legendären Organisation (German Edition)
verheiratete russische Immigrantin, wurde nach dem Spionagegesetz zu zehn Jahren Haft verurteilt, weil sie gesagt hatte, »eine Regierung, die für die Profiteure« sei, könne »nicht gleichzeitig für das Volk sein«. Eugene V. Debs, der Vorsitzende der amerikanischen Sozialistischen Partei, wurde verurteilt, weil er sich gegen ihre Verurteilung ausgesprochen hatte. Debs hatte als Wilsons Gegenkandidat fast eine Million Wählerstimmen gewonnen, doch seinen nächsten Präsidentschaftswahlkampf sollte er vom Gefängnis aus führen.
»Ich glaube an das Recht auf freie Meinungsäußerung, im Krieg wie im Frieden«, sagte Debs vor Gericht. »Wenn das Spionagegesetz bestehen bleibt, bedeutet das den Tod der Verfassung der Vereinigten Staaten.« Sein Ankläger Edwin Wertz vom Justizministerium konterte, Debs sei eine Gefahr für die Gesellschaft, weil seine Worte den Geist der Amerikaner entflammten. »Wenn er freikäme, könnte jedermann in ein voll besetztes Theater spazieren […] und ›Feuer‹ rufen, obwohl gar kein Feuer ausgebrochen ist.« Der Oberste Gerichtshof bestätigte einstimmig das Urteil der zehnjährigen Haftstrafe. Richter Oliver Wendell Holmes, der berühmteste Jurist Amerikas, schrieb, die Sozialisten hätten Worte benutzt, »die eine gewalttätige Wirkung« entfalten konnten. Sie stellten eine »klare und akute Gefahr« für das Land dar. [24]
Als der Krieg andauerte, forderte Senator Lee Overman, ein Republikaner aus North Carolina und prominentes Mitglied des Rechtsausschusses des Senats, der das Justizministerium überwachte, ein härteres Vorgehen des Bureaus gegen »Verräter, Schurken und Spione«. [25]
Der Senator warnte, 100000 ausländische Agenten würden die Vereinigten Staaten ausspionieren. Unter Berufung auf das Bureau verdoppelte und vervierfachte er die Zahl nach Lust und Laune – an einem Tag waren es 200000, am nächsten 400000.
Justizminister Thomas Gregory schrieb an einen Staatsanwalt im Justizministerium: »Es herrscht im Land eine ziemliche Hysterie bezüglich deutscher Spione. Wenn Sie so freundlich wären, sie mir einzeln oder im Dutzend zu schicken, werde ich Sie für Ihre Mühe belohnen. Wir sind ständig auf der Suche nach ihnen, aber es ist etwas schwierig, sie zu erschießen, bevor man sie gefunden hat.« [26]
Die Jagd auf ausländische Spione war ein fruchtloses Unterfangen. Heer und Marine, Außenministerium und Secret Service, U.S. Marshals und Polizeieinheiten in Großstädten rangelten mit dem Bureau of Investigation um Kompetenzen. Das Bureau stellte fest, dass es eine »enorme Überlappung von Ermittlungsaktivitäten zwischen den verschiedenen Behörden« gab, »deren gemeinsames Ziel es war, den Krieg zu gewinnen«, erinnerte sich der Agent Francis X. Donnell. »Es war nicht unüblich, dass ein Agent des Bureau im Verlauf seiner Untersuchung jemanden aufsuchte, um dann festzustellen, dass sechs oder sieben andere Regierungsbehörden diese Person in derselben Angelegenheit schon befragt hatten.« [27]
An der Jagd konnte sich jeder beteiligen. Justizminister Gregory und A. Bruce Bielaski, der Leiter des Bureau of Investigation während der Kriegszeit, unterstützten Unternehmer im ganzen Land, die die ultrapatriotische American Protective League (APL) finanzierten – Gangs, bestehend aus amerikanischen Staatsbürgern, die als subversiv Verdächtigte ausspionierten. Sie waren als Suchtrupps unterwegs und trugen Erkennungsmarken, die sie als Angehörige eines »Geheimdienstes« auswiesen. In ihrer Spitzenzeit hatte die APL 300000 Mitglieder. Die Eifrigsten unter ihnen verübten Einbrüche und verprügelten ihre amerikanischen Landsleute im Namen von Recht und Gesetz und der amerikanischen Flagge. Die Gerüchte, Verdächtigungen und Unterstellungen, die sie zusammentrugen, füllten die Akten des Bureau of Investigation. [28]
Präsident Wilsons Schwiegersohn, Finanzminister William G. McAdoo, warnte den Präsidenten, das Bündnis mit der American Protective League berge »die sehr ernste Gefahr von Missverständnissen, Verwirrung und sogar Betrug«. Das gab dem Präsidenten zu denken. Wilson fragte Justizminister Gregory, ob diese Vigilanten wirklich die besten Kräfte seien, die Amerika aufzubieten habe. Die Tätigkeit einer solchen Organisation in den Vereinigten Staaten sei »sehr gefährlich, und ich frage mich, ob es eine Möglichkeit gibt, sie aufzuhalten«, sagte Wilson. Er wisse, dass es »ein Versäumnis« sei, gegen das
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