Großstadtvampire (German Edition)
Es war spät am Abend und der zunehmende Mond hing verheißungsvoll über Berlin. Ruhe hatte sich über die sonst lärmende Metropole ausgebreitet und nur noch vereinzelt huschten Autos über die breiten Chausseen, während die großen Leuchtanzeigetafeln am Alexanderplatz ihre Botschaften einsam und ohne Publikum in die Nacht strahlten. Ein leichtes Wummern tönte fast unmerklich durch den etwas nördlich vom Alexanderplatz gelegenen Volkspark Friedrichshain.
Inmitten dieses zwischen Wohnblocks eingezwängten Parks, der groß genug war, um sich darin zu verlaufen, befand sich das Palais . Palais war etwas übertrieben, da es sich um einen alten Pavillon aus DDR-Zeiten handelte, der tagsüber Spaziergänger mit einem Biergarten lockte, um sich abends in einen angesagten Club zu verwandeln.
Der Park lag einsam und menschenleer in der nächtlichen Idylle. Doch plötzlich sprang die Tür des Palais auf und der Park wurde von lauten Elektrobeats überflutet. Jasmin stolperte an dem muskulösen Türsteher vorbei ins Freie. Sie war mit ihrem modischen dunklen Hosenanzug für den Club fast zu schick angezogen.
"Schönen Abend noch", gab der Türsteher ihr mit auf den Weg.
"Danke dir", wollte Jasmin antworten, doch da war die Tür schon wieder verschlossen und die nächtliche Ruhe hatte erneut vom Park Besitz ergriffen.
Jasmin blickte auf ihre Armbanduhr. Schon drei Uhr morgens. Sie wunderte sich, wieso es wieder so spät geworden war. Sie hatte doch nur auf einen Drink im Club vorbei schauen wollen. Doch dann hatte Stefan sie angesprochen und der sah ziemlich heiß aus. Anfangs hatte er auch einen recht coolen Eindruck gemacht und da er ein Kumpel vom Barkeeper war, hatte es alle Drinks umsonst gegeben. Je mehr Stefan aber geredet hatte, desto klarer war ihr geworden, dass es sich bei ihm um eine dieser aufgeblasenen Nightlife-Luschen handelte, die über nichts anderes reden können, als über die gerade angesagten Bars und Partys in Berlin, New York, Ibiza oder sonst wo . Echt schade, denn eigentlich hätte sie sich durchaus was mit ihm vorstellen können. Zumindest zum Ausprobieren. Aber irgendwie war der Funke dann doch nicht übergesprungen und am Ende hatte sie sich nur noch gelangweilt. Dummerweise war es darüber wieder spät geworden und jetzt ärgerte sie sich, weil sie morgen (oder vielmehr heute) um spätestens zehn Uhr in der Agentur, für die sie arbeitete, einlaufen musste.
Jetzt aber schleunigst ab ins Bett, dachte Jasmin, als sie zielstrebig in den Weg einbog, der zur nächstliegenden Straße führte. Doch schon nach ein paar Schritten blieb sie erschrocken stehen. Auf einer Bank unter einer der wenigen funktionierenden Laternen im Park hingen fünf sichtlich betrunkene Jugendliche herum. Ordinäres Grölen drang zu ihr herüber. Die Jungs hatten sie noch nicht bemerkt. Mit Dreißig- oder Fünfundzwanzigjährigen kam sie klar, vor denen hatte sie keine Angst. Aber bei triebgesteuerten und obendrein betrunkenen Sechzehnjährigen sah die Sache schon ganz anders aus. Denen konnte man nicht mit Logik oder Verstand begegnen. Das war sinnlos und daher wollte Jasmin auch kein Risiko eingehen.
Sie blickte sich suchend um. Ein weiterer Weg ging von der Abzweigung ab, an der sie gerade angekommen war und führte in die entgegen gesetzte Richtung. Jasmin kannte den Weg. Er schlängelte sich den Hügel im Park hinauf und führte weiter unten ebenfalls zur Straße. Erneut drang das Geschrei der Jugendlichen zu ihr hinüber. Jasmin überlegte. Es war zwar ein Umweg, aber immer noch besser als unnötig ein Risiko einzugehen. Sie drehte sich um und begann entschlossen den Aufstieg. Dank der blöden Kids würde sie jetzt eine Viertelstunde länger nach Hause brauchen. Selbst schuld, dachte sie sich. Weshalb bist du auch so lange im Club geblieben? Und wieso bist du überhaupt noch ins Palais gegangen? Du warst doch nach dem Empfang der Agentur schon auf dem Weg nach Hause. Aber die ganze Veranstaltung war so langweilig gewesen und die Leute so uninteressant, dass sie noch ein bisschen Nachtleben hatte erleben wollen, um nicht ganz frustriert ins Bett gehen zu müssen. Es gab ja auch keinen Grund, früh zu Hause zu sein. Schließlich wartete dort niemand auf sie. Wie lange war das jetzt her? Im Oktober zwei Jahre, rechnete Jasmin schnell aus. Wow, zwei Jahre schon, seit sie sich von Martin getrennt hatte. Ich hab das auch nie bereut, schob sie noch schnell hinterher, um ja nicht melancholisch zu werden. Gleichzeitig
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