Felidae 4 - Das Duell
Dafür verlange ich, daß du uns endlich zufrieden läßt. Jemand, der uns abgöttisch liebt und den auch wir verehren, liegt im Sterben.«
»Also?«
»Ich weiß nicht, wie lange ich hier wohne. Was spielt es für eine Rolle? Solange ich lebe, denke ich.«
»Das Gebäude ist ziemlich neu. Es macht nicht gerade den Eindruck, als waren darin Generationen aufgewachsen.«
»Eine Generation von unseresgleichen vielleicht schon.«
Er lächelte böse. Jetzt hatte er es mir wieder gegeben! Es war ein Hinweis auf den Umstand, daß wir im Gegensatz zu den Menschen geradezu in rasendem Tempo erwachsen werden. (2) Und darauf, daß ich eigentlich schon länger auf Erden weilte als erlaubt. Gleichwohl hatte er recht. Nach menschlicher Zeitrechnung war er vielleicht zwei Jahre alt, nach unserer eigenen bereits ausgewachsen. Es lag im Bereich des Möglichen, daß er tatsächlich gleich nach der Fertigstellung des Gebäudes hier das Licht der Welt erblickt hatte. Dennoch wollte in mir der Zweifel nicht weichen, daß das nur die halbe Wahrheit war und daß ein rätselhafter Schatten über seiner Vergangenheit lag.
»Und wer ist diese kranke Frau? Sie scheint in Geld zu schwimmen.«
Adrians grimmiger Gesichtsausdruck fiel mit einem Schlag in sich zusammen. Es sah aus, als habe man einer Fassade die Stützen weggerissen. Abgründige Traurigkeit breitete sich über sein Gesicht aus, und die Augenlider verengten sich, bis nur noch hauchdünne kupferne Linien zu erkennen waren.
»Der Tod ist der einzige in dieser Welt, der die Hand nicht aufhält, Francis. Leider. Er macht keine Unterschiede zwischen Arm und Reich, zwischen Gut und Böse. Agatha, schottisches Urgestein, hat als Unternehmerin in Asien ein Vermögen gemacht, bevor sie dieses kleine Schloß bauen ließ und sich zur Ruhe setzte.«
»Weshalb ist sie nicht gleich nach Schottland zurück, wo Urgesteine es doch viel uriger haben?«
»Was? Ich nehme an, es war das Wetter, das rauhe schottische Klima hat sie wohl in ihrem vorgerückten Alter nicht mehr vertragen. Jedenfalls just zu dem Zeitpunkt, wo Harmonie in ihr Leben einkehren sollte, erkrankte sie an Leukämie. Sie wird behandelt, aber es sieht nicht gut aus.«
»Wer ist dieser Kerl ? Er sieht aus wie Frankensteins Neffe.«
»Dr. Gromyko, ein russischer Wissenschaftler und Geschäftsmann. Und Agathas Partner, Berater, Arzt und Faktotum seit Ewigkeiten. Er ist der fürsorglichste Mensch, den man sich denken kann, und der ärmste Teufel, seit die Krankheit bei seiner geliebten Freundin ausgebrochen ist.«
»Das alles tut mir wahrhaftig sehr leid, Adrian«, sagte ich und meinte es auch so. »Ich kann den Schmerz, den solch ungeheuerliches Leid in einer innigen Gemeinschaft hervorruft, gut nachfühlen. Ist es da nicht ein wenig sonderbar, daß ausgerechnet eine so kranke Frau sich gleich eine Horde von uns Spitzohrigen aufhalst?«
»Keineswegs, Wie du vielleicht weißt, ist die heilende Wirkung von Haustieren auf Kranke, insbesondere Schwerstkranke, wissenschaftlich nachgewiesen. Der innige Kontakt mit einem Tier löst beim Menschen eine Kette von angenehmen Körperreaktionen aus, läßt ihn Abwehrstoffe bilden und stärkt sein Immunsystem. Aber Agatha läßt sich nicht von solchen Berechnungen leiten. Der wahre Grund, weshalb sie so vielen von uns ein Obdach bietet, ist schlicht und einfach eine ans Wahnhafte grenzende Liebe für unsere Art. «
»Woher stammen die vielen Brüder und Schwestern?«
»Keine Ahnung. Soweit ich mich erinnere, waren wir schon immer hier zusammen. Wen interessiert schon im Paradies seine Abstammung? Ich hoffe, ich konnte deine so überaus dringenden Fragen alle beantworten, Francis. Du wirst Verständnis dafür haben, daß ich mich jetzt zurückziehen muß. Ich habe mich um jemanden zu kümmern, der mich wirklich braucht. Wenn du dich beeilst, schaffst du es vielleicht noch, an dein Näpfchen zu kommen, bevor wir dich als Eisskulptur im Garten aufstellen. «
Er wandte sich mit einem gekünstelten Lächeln von mir ab.
»Wundert es dich nicht, daß ich dir all diese Fragen gestellt habe, Adrian?«
Er hielt inne.
»Nein, mein Bester. Senioren sind nun einmal ein bißchen einsam. Sie machen sich wichtig, schnüffeln bei ihren Nachbarn herum, hören sich gern ihre Geschichten an, die ein Ersatz für ihr ereignisloses Leben sind, und spinnen die abenteuerlichsten Theorien über sie. Das gibt ihnen das Gefühl, irgendwie am Kreislauf des Weltgeschehens teilzuhaben. Ich helfe gern, wenn ich
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