Felidae 8 - Göttergleich: Ein Felidae-Roman
abgehackten
Schwanz, der verschrumpelten Höhle neben dem gesunden Auge und dem einem ausgebeuteten Steinbruch ähnelnden Gebiss sah er aus wie ein fleischgewordener Frontalcrash, und doch gab es keinen Tapfereren und Treueren von unserer Sorte.
Diese drei Planeten umkreisten mich also tagtäglich, ohne zu merken, dass sie ihre Bahnen um eine immer schneller verglühende Sonne zogen.
Ach, beinahe hätte ich noch einen vergessen, den vierten Planeten. Der allerdings besaß etwa hundertmal mehr Volumen als die verglühende Sonne: Gustav, in der Tat ein Paradoxon nicht nur unter astrophysikalischen Gesichtspunkten. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass er der Art des Homo sapiens angehört. Jedenfalls bezeugt dies sein Ausweis. Auch imitiert er recht geschickt menschliche Verhaltensweisen, wenn ihm seine 140 Kilo dabei nicht gerade im Wege stehen. Gut, die sich sogar bei Zwielicht spiegelnde Halbglatze, das stets aufgedunsene, bartstoppelige Gesicht – eine Nebenwirkung militanten Rotweintrinkens bei Nacht –, der konstant feuchte Blick, die an Baumstämme gemahnenden Arme und Beine und der unnachahmliche Frottee-Bademantel-Look unterstützen ebenfalls diese Mensch-Illusion, allerdings nicht zu ihrem Vorteil. In Wahrheit aber ist Gustav weniger ein Mensch als eine Cartoon-Figur für Vierjährige, vor allem was den Intellekt beider Seiten anbelangt. Eine Frau fürs Leben hat er nie gefunden, nicht einmal eine für eine Stunde des Lebens. Traurig genug. Und eine feste Anstellung hat er auch nicht.
Gustav, der nunmehr sechzigjährige zerstreute Professor, wie er im Buche steht, ist eine Koryphäe in Sachen ägyptisches
Götterwesen. Es existiert wohl weltweit kein anderer Forscher, der sich bei diesem Themengebiet besser auskennt. Doch zu introvertiert für den archäologischen Wissenschaftsbetrieb und zu ungeschickt für die akademische Karriereleiter, hielt er sich in den letzten Jahren nur mit lächerlichen Jobs über Wasser, unter anderem – der Höhepunkt der Erniedrigung – als Hundesitter! Bis er unlängst von einem recht obskuren Institut für Altertumsforschung namens »Re-Gesellschaft« mit einem mehr als ansehnlichen Stipendium ausgestattet wurde. Ganz allein auf sich gestellt und eingekeilt zwischen seinen bis an die Decke reichenden Bücherstapeln im Arbeitszimmer, versank er daraufhin erst recht ganze Nächte lang in die Mysterien der untergegangenen ägyptischen Reiche. Ich nehme an, es handelte sich um einen sehr speziellen Auftrag für diese Gesellschaft. Gerade in den letzten Monaten schien Gustav sich regelrecht in Arbeit eingegraben zu haben, die er nur verließ, um uns das Fressen zu servieren. Einige Male hatte ich versucht, meine neugierige Nase ins Arbeitszimmer zu stecken, denn ich wollte herausfinden, warum jemand plötzlich so tut, als hätte er einen neuen Kontinent entdeckt. Aber immer wurde mir die Tür vor derselbigen neugierigen Nase zugeschlagen. So hatte ich Gustav noch nie erlebt.
Allerdings muss ich gleich hinzufügen, dass trotz dieser neuerlichen Eigentümlichkeiten der größte Platz in Gustavs Herzen wie eh und je für unsereins reserviert ist und die ollen Ägypter im Nu vergessen sind, wenn wir zu jammern beginnen. Also Respekt!
Zurück zu der Sache mit der Zeit beziehungsweise zurück
zu »Keine Zeit, keine Zeit …«. Ich streunte also im Garten herum und genoss die Geschenke des Sommers: das Licht und die Wärme auf meinem Fell, die mir wie eine raffinierte Massage vorkamen, das surrende und sirrende Leben in den Pflanzen und in der Luft, die berauschenden Gerüche der Kräuter und wilden Büsche – und natürlich der Anblick der Vöglein in den Ästen, die, so Gott wollte, mir direkt ins geöffnete Maul fallen mochten. Zum Jagen war ich inzwischen nämlich viel zu alt, vor allem jedoch viel zu faul geworden.
Das Radio aus der Küche verkündete weiterhin wichtigtuerisch seine Nachrichten. Im Kanzleramt kämen zum ersten Mal fünfzig Staatschefs zusammen, um nach einer koordinierten Lösung für die Wirtschaftskrise zu suchen. Tolle Sache! Der Handelsüberschuss betrüge im zweiten Quartal über drei Prozent. Ach echt? Astronomen hätten einen so und so viele Lichtjahre entfernten, erdähnlichen Planeten in einer Nachbargalaxie entdeckt. Und in China war ein Fahrradreifen geplatzt. Ich ließ mich mitten in der Wiese auf das Gras sinken und nahm die berühmt-berüchtigte Sphinx-Pose mit ausgestreckten Vorderpfoten ein. Vielleicht wäre ein Nickerchen jetzt
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