Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
Sportart weltweit führenden Chinesen coole Namen für solche Rohrkrepierer hatten: Tschan-tschu, die allzu weit hüpfende Kröte (= Ausball). Lei-sun, der müde Tiger (= Netzroller). Loa-ying, der kurzsichtige Adler (= Übertreten). Noch zwei Sekunden. Draußen am Spielfeldrand lümmelte Mona (persönliches Profil: Bikini, Bikini), die sicherlich ebenfalls gerne mitgespielt hätte, doch Mona trug den Arm in Gips. Gartenunfall. Pech für sie, schade für alle, denn sie wäre eine der besten Spielerinnen hier auf dem Platz gewesen. Tom hatte ein Auge auf sie geworfen. Er hatte ihren Beziehungsstatus auf Facebook gecheckt:
Wieder solo – schade aber auch
. Ganz klare Sache: Er wollte angeben mit dem Schlag. Einen tödlich angeschnittenen Smash zwischen die beiden ungelenken Flaschen dort drüben auf den Positionen drei und vier? Noch eine Sekunde. Auch Mona war jetzt aufgesprungen. Sie hob unbeholfen und katzenpfötchenhaft ihren Gipsarm und winkte ihm zu. Tom spannte die Muskeln und wuchs über sich hinaus. Er war bereit, zuzuschlagen. Er schmetterte. Er feuerte. Er drückte ab. Er spannte sich wie ein Flitzebogen und entlud seine ganze verdammte Hulk-Kraft darin. Er hörte kein Nnpf, Nnpf mehr und kein Kinderkreischen. Er hörte nur noch das
--- rrrrrrrrumba! ---
der außer Rand und Band geratenen Schlachtenbummler. Aus den Augenwinkeln sah er einen winkenden Gipsarm. Mona war wieder solo. Super. Die Hand von Tom schmatzte an den Ball, und wie ein Überschalltorpedo zischte die Kunstlederkugel davon, mit leichter Anfangssteigung in Richtung der gegnerischen Position fünf. Das Geschoss hatte eine ideale ballistische Flugbahn angenommen. Das Geschrei der Schlachtenbummler war jetzt ohrenbetäubend. Die Granate überquerte das Netz. Zunächst, im ersten fiesen Impuls, hatte Tom vorgehabt, die unbewegliche Tessy Meyer anzuspielen (Profil: Flaschenhalsbrille, Einserabitur, Wahlfach Altjapanisch), aber dann war sein Blick auf Steve gefallen. Steve Beissle auf Position fünf hatte seelenruhig sein Handy aus der Tasche gezogen, er setzte wohl gerade seinen Status neu:
Am Beachen. Tom hat Service, diese Flasche.
Steve (Profil: Physikgenie) beherrschte das einhändige Eintippen, auch das blinde einhändige Eintippen, auch das blinde einhändige Eintippen und dazu mit jemandem seelenruhig über Relativitätstheorie sprechen. Als Tom Steve sah, drehte er sich von Tessy Meyer weg und zielte auf ihn. Er wollte ihm das verdammte Handy aus der Hand schießen, dass es in die Stratosphäre spritzte. Und jetzt gab es helle Aufregung bei den Windows-Langweilern: Der Ball senkte sich raketenschnell auf Steve. Steve jedoch hatte die Ruhe weg. Er ließ die Hand mit dem Handy einfach sinken, mit der anderen Hand parierte er Toms Kracher, er parierte elegant und schaffte es sogar, den Ball locker zu Franziska zu spielen, die sauber an Josch weitergab. Josch sprang hoch, er schraubte sich aus dem Sand wie kochendes Wasser aus einem Geysir, er setzte zu einem kettensägenmäßigen Schmetterschlag an, und er schlug in Richtung Tom. Nicht direkt in Richtung Tom, er spielte einen Meter rechts neben Tom. Er wollte ihn dort im Niemandsland versenken. Tom setzte zum Hechtbagger an. Er spurtete los und flog. Er flog unendlich lange. Er stieg auf wie ein kühner Albatros, wie Conandree, der gleitende Dampfhammer aus dem Ego-Shooter-Spiel. In der Luft liegend sah er, dass Mona ihm einarmig zujubelte. Er riss die Augen weit auf. Hinter dem Spielfeld war eine Banderole aufgespannt: HERZLICH WILLKOMMEN ZUM KLASSENTREFFEN ! Wenn er sich noch ein bisschen mehr reckte, konnte er den Ball vielleicht erreichen. Vielleicht.
3
»Ein Jegliches hat seine Zeit«, so heißt es in Prediger 3 . 1 , »und alles hat seine Stunde: geboren werden und sterben, pflanzen und ausrotten, würgen und heilen, brechen und bauen, weinen und lachen, klagen und tanzen, Steine werfen und Steine sammeln, schweigen und reden …«
Die meisten Bibelfreunde steigen spätestens hier aus. Sie lesen nicht weiter, sie überfliegen die herrlichen Dualismen. Wird schon recht sein, meinen sie, alles hat eben seine Zeit – so rum und auch anders rum gesehen. Deswegen bleibt die zentrale Stellemeistens unbeachtet, wird auch oft sehr undeutlich mit »herzen und klagen« übersetzt, wo doch eine treffliche kraftvoll-bayrische Übertragung wäre:
Auch schmusen und granteln hat seine Zeit
. Und genauso hat es der große Deggendorfer Bibelübersetzer, der Hilfspfarrer Alois Grundlmayr,
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