Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
Veranstaltung. Ich habe vor, mich mit einem von euch – sagen wir – auszusprechen. Dieser eine weiß das wahrscheinlich auch schon, und er weiß, um was es geht. Die anderen haben nichts zu befürchten. In ein paar Stunden werden alle wieder frei sein. Bis dahin geben wir alle zusammen ein köstliches Bild ab!«
Der Gangster lachte hämisch.
»Wenn ich mir das so anschaue, verwandeln wir uns gerade in eine lustige Wandergruppe, bestehend aus lauter Lady Gagas, die sich gemeinsam einen originellen Spruch fürs Gipfelbuch ausdenken.«
Wieder schlug er ein hölzernes, fieses Lachen an, doch er beherrschte sich sofort wieder. Die Menschen, die am Boden kauerten, rührten sich nicht. Auch der Graubärtige mit der abgewetzten Kniebundhose wagte kaum, zu atmen. Geschweige denn, sich nochmals nach den anderen umzusehen. Beim Abmarsch vor zwei Stunden waren sie eine fröhliche Ausflüglertruppe von vierzehn Leuten gewesen. Während der Wanderung waren andere Bergsteiger zu ihnen aufgeschlossen, hatten sich unter sie gemischt, hatten sich bei Weggabelungen wieder von ihnen getrennt. Oben auf dem Gipfelplateau war dann alles so furchtbar schnell gegangen.
Der Bärtige drehte den Kopf unmerklich nach hinten. Der Kidnapper war immer noch dabei, den korrekten Sitz der Lady-Gaga-Fratzen zu überprüfen. Als er in eine andere Richtung schaute, zerrte der Bärtige an seiner Fessel. Keine Chance, sie zu lösen. Eine Art Zelthering war in die Erde eingeschlagen, der dicke, silberne Haken trug oben einen stabilen Ring. Diese Haken waren schon in der Erde verankert gewesen, als sie alle den Gipfel erreicht hatten. Sie hatten die kleinen silbernen Dinger nicht bemerkt. Sie waren atemlos und erschöpft hier oben angekommen, sie hatten ihre Rucksäcke wohlig stöhnend abgestreift und sich sofort in der moosigen weichen Mulde in der Mitte des Gipfelplateaus niedergelassen, vor dem Gipfelkreuz und dem großen Stein. Einige hatten sich auf den Rücken gelegt und die Augen geschlossen, um sich die Höhensonne auf die Nase brennen zu lassen. Manche hatten sich eine Zigarette angesteckt – und die anderen wedelten gespielt angeekelt mit den Händen. Siegfried Schäfer, der hochaufgeschossene Oberforstrat, hatte noch einen kleinen Vortrag über die Vegetation hier oben gehalten. Uta Eidenschink, die sangesfreudige Rothaarige, hatte ein Wanderlied geschmettert, ein paar andere hatten eingestimmt. Plötzlich, aus heiterem Himmel, völlig unerwartet, war eine maskierte Gestalt in ihrer Mitte gestanden. Kein Mensch hatte gesehen, woher sie gekommen war. Die Gestalt hatte einen kleinen Trichter in der Hand gehalten, ein Kindermegaphon aus dem Spielzeugladen, hatte etwas von
Überraschung! Überraschung!
gerufen, hatte jedem die Hand nach unten geführt – und innerhalb von wenigen Sekunden hing das gute Dutzend Wanderer mit Handschellen an den Ringen, die bis dahin unbemerkt geblieben waren. Sie hatten sich vermutlich deshalb so leicht überrumpeln lassen, weil keiner mit solch einer Aktion gerechnet hatte. Im Gegenteil, sie hatten es für einen Scherz gehalten, für einen spielerischen Programmpunkt der Wanderung. Einige hatten lachend protestiert und spaßhaft neckisch gemurrt. Ein paar hatten flotte Sprüche parat:
»Gibts denn jetzt beim Bergsteigen auch schon Bondage?«
Andere dachten wohl an den Hobbyzauberer mit dem Spitznamen ›Houdini‹, der mit ihnen gegangen war und der ein paar Zauberkunststücke draufhatte, die er bei jeder Gelegenheit zum Besten gab. Zersägte Jungfrau, Kaninchen aus dem Hut, das Übliche – und heute eben eine Gruppenfesselung auf fast zweitausend Meter Höhe. Das wäre gar nicht so unwahrscheinlich gewesen.
»Houdini lässt grüßen!«, hatte einer noch gerufen, daraufhin gab es Gelächter. Doch dann fielen die ersten Schläge. Die letzten drei, vier Fixierungen geschahen alles andere als freiwillig, der Geiselgangster half mit Fußtritten, Stößen und derben Ohrfeigen nach. Und spätestens jetzt hatte jeder begriffen: Das war kein lustiger Programmpunkt der Erlebniswanderung. Das war bitterer Ernst.
Der Bärtige betrachtete die Handschellen genauer. Es schienen keine blechernen Faschingshandschellen zu sein, es waren schwere eiserne Dinger, vielleicht sogar aus alten Polizeibeständen. Ihm fiel ein, dass es auch SM -Shops gab, in denen man stabile Handschellen kaufen konnte. Er ruckelte abermals an seiner Fesselung. Es mussten Zeltheringe sein, die sich im Boden verhakten, dann
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