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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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gesprochen, sondern sie mir verheimlicht.«
    »Ich habe Ihnen vom Atem des Drachens berichtet«, antwortete Georg ungerührt.
    »Eine blödsinnige Metapher.« Reimann streifte sich jetzt doch noch das Jackett ab, aber mit so wütenden, ungelenken Bewegungen wie ein Fünfjähriger kurz vor einem Trotzanfall. »Drachenfeuer! Dass ich nicht lache! Ich habe den Begriff akzeptiert als Ursache für die unerklärlichen Brandphänomene, die in den letzten Jahren wieder vermehrt auftraten. Aber wissen Sie, was passiert wäre, wenn ich das Wort Drachenfeuer auch nur einmal in einem offiziellen Bericht verwendet hätte? Ich hätte schon am nächsten Tag einen Termin mit dem Polizeipsychologen gehabt, wenn man mich nicht gleich in die nächste Klapse eingeliefert hätte!«
    »Und wäre es anders gewesen, wenn Sie statt Drachenfeuer Lava in einen Polizeibericht geschrieben hätten?«, fragte Georg.
    »Das habe ich ja jetzt!«, sagte Reimann wütend und legte sich das Jackett garantiert nicht knitterfrei und so schwungvoll über den Arm, dass es auf der anderen Seite beinahe wieder heruntergefallen wäre. »Und selbst die Spezialisten wie Bergmann sprechen von Lava, zumindest intern und hinter verschlossenen Türen …«
    »Aber erst nach der Brandkatastrophe in dem Haus, in dem Will all die Jahre untergekrochen war«, sagte Georg. »Und dann auch nur hinter verschlossenen Türen, wie Sie ganz richtig sagten. Und wissen Sie auch, warum?« Reimann schüttelte trotzig den Kopf. »Weil die Öffentlichkeit nicht darauf vorbereitet ist. Weil das meiste des alten Wissens längst vergessen ist. Und wenn Hamlet auch noch so oft zitiert wird mit dem Spruch, dass es mehr Dinge gibt, als sich unsere Schulweisheit erträumen lässt – im Grunde wird alles verleugnet, was mit dem alten, mythologischen Wissen zu tun hat, auf das unsere Vorfahren unser aller Zivilisation gegründet haben.«
    »Und als Schliemann nach Homers Troja zu graben begonnen hat, haben ihn alle für verrückt erklärt – geschenkt«, winkte Reimann ab. »Hier geht es nicht nur um irgendwelche Altertümer. Hier geht es um das, was mit feuriger, unaufhaltsamer Gewalt aus der Erde hervorzuschießen droht: um Lava!«
    »Wenn Sie es so nennen wollen.« Georgs Worte übertönten mühelos das Gedröhn der Maschinen, obwohl er nicht einmal besonders laut gesprochen hatte, und seine nächsten Worte hallten regelrecht von den Wänden wider: »Unsere Vorfahren haben vom feurigen Atem des Drachen gesprochen, von der vernichtenden Wucht, mit der er aus jeder Ritze der Erde hervorquillt, von der Glut, die alles auslöscht, was sich ihr in den Weg stellt. Es wird kein Entkommen geben, auch heute nicht, wenn der Drache Feuer spuckt.«
    Während sich Will einige Schritte weiter vorwärts schleppte, sprach niemand ein Wort. »Dann lassen Sie uns keine Zeit mehr verlieren«, sagte Reimann schließlich nervös.
    Will hatte das Gefühl, dass er tatsächlich den Unsinn glaubte, den Georg von sich gab. Und ihm selbst rann, paradoxerweise als Reaktion auf das, was Georg vom Drachenfeuer gesagt hatte, ein kalter Schauer über den Rücken.
    »Und wie habt ihr euch das vorgestellt?«, fragte er. »Ich wandle wie Jesus über das Wasser da vor mir, und dann erlischt die ganze Pracht hier, als hätte jemand einen Schalter umgelegt?«
    »So ähnlich«, sagte Georg ungehalten. Er packte noch kräftiger zu, aber nicht, um Will weiter vorwärts zu schubsen, sondern diesmal, um ihm mit dieser groben Geste zu verstehen zu geben, dass er anhalten solle. »Da!« Er packte Wills Kopf am Kinn und drückte ihn zur Seite, während er mit dem ausgestreckten Zeigefinger der anderen Hand links in den Höhlenhintergrund deutete. »Da ist sie. Siehst du sie?«
    Zuerst sah Will erst einmal gar nichts, doch dann, als er die Augen zusammenkniff und versuchte, mit seinem Blick die vor allem über dem Wasser hängenden Schwaden zu durchdringen, erahnte er eine Gestalt, die durchaus die eines Menschen hätte sein können. Zuerst gewahrte er nicht mehr als einen dürren Oberkörper auf schlaksigen Beinen, kaum mehr als die Ahnung eines menschlichen Körpers, doch dann glaubte er tatsächlich die Umrisse eines schmächtigen Erwachsenen oder die eines Kindes zu erkennen. Sein Herz begann wieder heftig und schmerzhaft zu pochen, und er spürte, wie seine Hände zu zittern anfingen. Sein Verstand war noch lange nicht bereit, Georg zu glauben – schließlich konnte das da hinter dem wallenden See alles Mögliche sein, der

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