Finnisches Requiem
rote Nase weißen. Ratamo mußte immer noch über den Grund für Himoaaltos Verschwinden lachen. Der alte Vogelfreund war vor seinen eigenen Sauftouren auf die Vogelstation des Ornithologischen Vereins von Turku geflohen, die lag in Jurmo, im südlichsten Zipfel der Schären vor Turku. Der Herbstzug der Vögel war in vollem Gange.
Ratamo war feierlich zumute, obwohl nur alte Bekannte zu Besuch kamen. Zum erstenmal hatte er gemeinsam mit Riitta Gäste zu einem Abendessen eingeladen. Das war ein gutes Gefühl. Bei den Ermittlungen zu den Morden an den Kommissaren hatte er sehr traurige Menschenschicksale erlebt, und ihm wurde klar, daß sein Leben trotz aller Mängel in Ordnung war. Das empfand er als eine wichtige Erkenntnis.
Die Ereignisse in Kopenhagen bedrückten ihn nur noch nachts. Es gab Anlaß, über andere Dinge nachzudenken, denn sein Vater hatte sich nach Monaten des Schweigens gemeldet und wollte sich mit ihm treffen. Er war sicher krank. Ein anderer Grund fiel Ratamo nicht ein.
Es klingelte. Riitta öffnete, sie war eher an der Tür, obwohl Ratamo schon in den Startlöchern gewartet hatte.
Ketonen wollte als Aperitif Wasser mit Wodka, und Marketta kündigte an, sie bleibe den ganzen Abend, egal, was gegessen wurde, beim Weißwein. Von Rotwein bekomme sie neuerdings Kopfschmerzen. Nelli verschwand mit Musti in der Küche.
Ratamo mixte Ketonen einen möglichst kräftigen Drink. Er selbst wollte sich, was das Trinken anging, keine übermäßige Zurückhaltung auferlegen. Die Prüfung in Organisations- und Wirtschaftkriminalität fand erst am nächsten Donnerstag statt, er hatte noch reichlich Zeit zum Pauken.
Als der Aperitif getrunken war, wurden die Gäste zu Tischgebeten. Kaum hatten alle die Vorspeise gekostet, stand Ratamo auf und erhob sein Glas Aquavit. »Ich singe jetzt ein Trinklied«, verkündete er feierlich. Das Klappern auf den Tellern hörte auf. Riitta bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, und Nelli lachte.
Die Lippen des Hausherrn bewegten sich, als er sich den Text des Liedes ins Gedächtnis rief. Dann hob er sein Glas. »Jetzt lieber nicht. Statt dessen: Prost«, sagte er und leerte das Glas in einem Zuge.
Himoaalto schien in einer guten Verfassung und froh gelaunt zu sein. Die Gesellschaft am Tisch erfuhr, daß Timo wegen des Waldpiepers nach Jurmo gefahren war. Diesen Vogel hatte man in Finnland bisher nur ein paarmal gesichtet.
Ratamo konnte dem leidenschaftlichen ornithologischen Vortrag über Saatgänse, Kranichzüge und Temminckstrandläufer nicht mehr folgen. Er erhob sein Rotweinglas, und die Gäste folgten seinem Beispiel. Der Chorey Les Beaune krönte das Essen.
Die Unterhaltung kreiste eine Weile um Nellis Geigenspiel und Alltagsprobleme, bevor sie unweigerlich bei den Morden an den Kommissaren landete. Riitta verteidigte eifrig die Auffassungen von Ismo Varis, sosehr Ketonen auch versuchte, sie zu bremsen.
»Ich will Mitglied von Attac und Amnesty International werden. Wenn man nur wartet, ändert sich nichts«, sagte Riitta energisch.
»Schön, daß ich das auch erfahre.« Ratamo hörte sich beleidigt an.
»Es kann sein, daß wir mit diesen Organisationen zu tun bekommen«, sagte Ketonen, bevor ihm klar wurde, daß auch Zivilisten anwesend waren. Die Hand mit der Gabel hielt vor seinem Mund inne, Soße tropfte auf das Tischtuch.
»Na und. Die Organisationen sind zugelassen.«
Ratamo überlegte, warum niemand über Akseli Saarnivaara reden wollte. Vielleicht hatten alle schon genug von dem Mann: Über Saarnivaara waren in der letzten Woche kilometerweise Texte geschrieben worden. Niemand konnte erklären, was den Menschen zu seinen extrem schlimmen Taten getrieben hatte. Ratamo beschloß, das Thema zu wechseln: Die Neugier verlangte nach Antworten. »Es ist ja ein ziemlicher Zufall, daß ihr zwei euch getroffen habt. Wie kam es denn dazu?« fragte er Marketta.
»Mit Zufall hat das nichts zu tun. Ich habe unser erstes Treffen sorgfältig geplant. Nach allem, was du mir über Jussi erzählt hast, habe ich mich für ihn interessiert. Du hattest recht. Jussi hat …«
»… Durst«, sagte Ketonen, räusperte sich und erhob sein Glas.
Informationen zum Buch
Der Mann ist höflich und gebildet, er ist tadellos gekleidet. Der Mann hat einen Killerinstinkt, er bringt den deutschen EU-Kommissar Walter Reinhart ums Leben. Der Polizist ist unhöflich und achtlos gekleidet. Der Polizist hat einen Instinkt für Killer, er bringt den Mann zur Strecke.
»Pastor« nennt sich
Weitere Kostenlose Bücher