Fischerkönig
buckeligen Boden, weiter durch die Nacht. Und dann sah er ihn. Heiko schnellte nach vorne und warf sich in Richtung des Mannes, der entsetzt zurückwich. Der Fliehende machte kehrt und benutzte die Schneise, die er bereits in das Feld geschlagen hatte. Heiko verfluchte die Tatsache, dass er keine Dienstwaffe dabeihatte. So blieb ihm nichts anderes übrig, als dem Mann zu folgen, aber immerhin hatte er jetzt Sichtkontakt. Holderberg war drei, vier Meter vor ihm, aber nicht mehr. Und Heiko lief wie zuvor, mechanisch, nur auf das eine Ziel fixiert, den Mörder zu fassen, den Mann, der es gewagt hatte, Lisa zu verletzen. Holderberg linste nach hinten, und im erneut aufleuchtenden Mondlicht konnte Heiko die geweiteten Augen sehen, die denen eines gejagten Tieres nicht unähnlich waren. Heiko machte größere Schritte und folgte dem Mann in Sätzen, war endlich auf zwei Meter heran, als Holderberg wieder am Rand des Feldes angelangt war und mit einem einzigen Sprung in die Menschenmenge eintauchte, die ihn sofort verschluckte und gnädig in sich aufnahm. Heiko fluchte, die Leute waren wie eine zähe Masse, die hin und her wogte. »Polizei!«, brüllte er. »Platz machen!« Wieder keine Dienstwaffe, nichts, womit er sich Aufmerksamkeit hätte verschaffen können. Und selbst wenn die Leute hätten ausweichen wollen – wohin denn? Holderberg benutzte seine breiten Schultern, um sich weiter nach vorne zu drängen, in Richtung der Treppe, jener schlüpfrigen Treppe, die das Lichterfestareal mit dem Festplatz verband. Heiko zwängte sich ebenfalls vorwärts, brüllend, aber niemand beachtete ihn, das allgemeine Gemurmel war zu laut, die Ooooohs und Aaaahs der Leute, die staunend die Figuren betrachteten, dämpften seine Schreie. Holderberg kämpfte sich weiter nach vorne, hatte schließlich die Treppe fast erreicht. Nur noch etwa anderthalb Meter trennten ihn von dem Bauwerk, dann warf er sich auf die erste Stufe. Mehrere Leute strauchelten und rutschten, die hinteren drängten nach. Heiko hielt einen Moment inne, kurz durchzuckte sein Gehirn der Gedanke, dass er eine Massenpanik unbedingt verhindern müsste. Er nahm urplötzlich einzelne Menschen wahr, eine kleine Oma im Spitzenblüschen mit silbergrau onduliertem Haar, einen Mann mit einem Baby auf dem Arm, eine junge Frau, die sich verliebt einem Kerl zuwandte. Holderberg hielt sich am Geländer fest und schob sich immer weiter vorwärts, nach unten, nicht darauf achtend, ob ihm jemand im Weg war oder nicht. Heiko war endlich an der Treppe angelangt und hörte das Murren, das die Leute ausstießen, wenn sich der Mann zwischen ihnen hindurchquetschte. Gott sei Dank war noch nicht wirklich etwas passiert, letztlich war das aber nur eine Frage der Zeit, denn die Menschenmenge war einfach zu dicht. Gerade schubste Holderberg einen Opa mit Krückstock beiseite, der sich ohnehin schon verzweifelt ans Geländer krallte. Heiko sah den Mann schwanken und stürzen. Die Masse wälzte sich unerbittlich weiter, immer weiter vorwärts, und dann, endlich, ragte der Stock des Mannes aus dem Gedränge heraus, und die Leute registrierten ihn, man half ihm auf. Holderberg quetschte sich weiter vor, schlitterte, rutschte, drohte mehr Leute mit sich zu reißen. Inzwischen hatte aber die Menge bemerkt, dass etwas nicht stimmte, das allgemeine anerkennende Murmeln wich einem empörten Zischen, und so hörte man endlich auch Heikos Rufe, denn er brüllte immer noch beständig »Polizei« und »Haltet den mit dem roten Hemd fest«. Zwar dachte niemand daran, Holderberg aufzuhalten, immerhin war es ja nicht sicher, ob er bewaffnet war oder nicht, und überhaupt, was das für einer war, wusste man ja auch nicht. Aber immerhin wussten jetzt alle Bescheid und machten dem Mann irgendwie Platz, damit nichts mehr passieren konnte. Heiko hatte leider nicht so viel Glück, denn vor lauter Neugier auf den Verbrecher vergaßen die Leute ganz, Heiko einen Weg freizulassen, und so kämpfte er sich schimpfend, fluchend und brüllend weiter vorwärts. Holderberg war indessen beinah unten angekommen, noch einmal strauchelte eine ältere Dame, konnte sich aber wieder fangen, und hatte nur noch wenige Stufen bis nach unten. Heiko erkannte, dass er nicht schnell genug sein würde, und suchte die Menge am Fuß der Treppe mit Blicken ab. Schließlich entdeckte er tatsächlich jemanden, den er kannte.
Lothar Holderberg kämpfte sich schnaufend weiter vorwärts. Seine Lungen pumpten weniger Luft in seinen Körper, als
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