Flammenopfer
auch morgen sein, was ein Mann ist, der nicht geheiratet hat und auch sonst klug genug war, seine Bindungen zu minimieren. Er konnte trinken und sitzen und seine Gedanken weit über die Stadt fliegen lassen, dem warmen Whiskygefühl nachspüren, wie es die Kehle hinunterströmte und den Körper einnahm. Im Glück hat man alle Zeit der Welt.
Anselm Jarczynski schob den Lichtdimmer neben dem Sessel auf null und streckte sich, um einen Stern zu sehen. Das ist der Preis der Stadt, dachte er. Sie ist trotz allem zu hell für das Universum. Ab und zu glaubte er einen Lichtpunkt zu sehen, aber das schrieb er dem Whisky zu. Der Sommerwind erreichte sein Gesicht.
Er stand langsam auf. Und hörte ein Scharren. Und wieder. Es kam von draußen. Das Geräusch war nah, möglicherweise kam es vom Nachbardach, das an seinen Balkon grenzte. Aber im Dunkeln war nichts zu sehen. Hätte er das Licht eingeschaltet, wäre es seinen Augen noch schwerer gefallen, draußen etwas zu erfassen.
So stand er an der Balkontür und schaute in die Nacht, die jetzt schwerer geworden war. Das Geräusch war nicht mehr zu hören. Sogar der Wind schien aufgehört zu haben. Da draußen ist etwas, dachte Anselm Jarczynski. Jemand sieht mich. Etwas erhebt und baut sich vor mir auf. Oder jemand klettert über die Brüstung und steht vor mir. Das Schwarz war plötzlich bedrückend.
Er schaute hinaus in die Leere und ahnte einen Arm, der nach ihm griff. Es packt dich, dachte er, und er merkte, dass es keinen Wind gab und keinen Laut mehr und kein einziges Licht.
Er schloss die Balkontür und konnte sich nicht entschließen, das Licht wieder einzuschalten. Die spiegelnde Glasscheibe hätte ihm einen Nachteil verschafft, weil er nicht gesehen hätte, ob sich draußen etwas bewegt. Wahrscheinlich spielt mir mein Freund, der Whisky, einen Streich. Das wohlige Whiskygefühl war verschwunden. Er setzte sich in den Sessel. Der CD-Spieler war noch auf Stand-by geschaltet und brummte.
Neben dem Bett stand die Kiste mit Flaschen. Anselm Jarczynski hatte sie noch nicht einsortiert. Eigentlich wollte er im Schwarz des Zimmers eine Flasche herausgreifen, öffnen, das Glas vollgießen und die Marke erraten.
Aber die Arme in der Dunkelheit, direkt vor seinem Fenster, ließen ihn nicht los. War er so ein Feigling, dass er in der wärmsten Nacht des Jahres die Fenster schloss, aus Angst vor – irgendetwas? Dann schraubte er doch an einem Verschluss, fasste die Flasche am Hals und versuchte das Glas zu treffen. Moor-Aroma stieg ihm in die Nase, doch noch ehe er einen Whiskynamen formulieren konnte, hatte ihn die Angst gepackt.
Er saß im Dunkeln in seinem Penthaus und trank. Draußen die Nacht, und was um ihn herum war, konnte er nicht sehen. Und nicht wissen. Er kippte den Rest hinunter, stellte das Glas neben dem Bett ab und legte sich auf das Laken, neben ihm die Kiste mit den Whiskyflaschen auf dem Parkettfußboden. Er lag da mit dem Blick zum Fenster, und er ahnte, dass es keine Minute dauern würde, bis er eingeschlafen war.
Um 2.47 Uhr zog sie sich langsam an der Kante entlang. Gegen 2.49 Uhr hatte sie die Ecke erreicht, in der die Isolierwatte in Plastikbeuteln herumlag. Sie berührte die Beutel und erfasste die Watte, schlug gegen die Wand aus Holz, konnte in sie eindringen und presste sich durch sie hindurch – erst an ihren Kanten, dann auf voller Fläche.
An der Dachkante atmete sie die Nachtluft und entfaltete sich. Um 2.57 Uhr drang ihre Vorhut, der Rauch, in den Innenraum. Er kroch an der Decke entlang, ertastete ein Gemälde, ließ sich hinunterkringeln auf Türrahmenhöhe und schwoll weit hinein in das Zimmer.
Um 3.08 Uhr loderte die Wand außen und innen. Eine Flamme hieb in den Innenraum hinein. Der Rauch sank von der Decke ins Zimmer, umspülte einen Sessel aus Leder und Chrom und tastete einen Kasten voller Glasflaschen ab.
Dem Rauch folgte über den Parkettfußboden die flammende Infanterie. Gerade hatte der Rauch die Lungen des Mannes ausgefüllt. Die erste Flasche explodierte. Dann die zweite. Die dritte. Die vierte. Der Mann war bewusstlos, als die Flamme auf sein Laken übergriff, seine Haare versengte und die Haut zu schlürfen begann.
Um 3.16 Uhr verpuffte der Alkohol im Körper von Anselm Jarczynski, einem glücklichen Mann mit großer Zukunft.
3
Ein feiner Faden Rauch stieg senkrecht aus der Asche. Seine klare, gerade Struktur löste sich in einer bestimmten Höhe auf. Dort kräuselte sich der Rauch. Er verwirbelte ins Unfassbare.
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