Flammenopfer
aus ein Stück weiter hinter den Schornstein zu sehen hoffte. Tatsächlich stand eine leere Weißweinflasche neben dem Glas.
Und da war ein Arm.
Sternenberg drückte sich an den Rahmen des Küchenfensters, um die Perspektive optimal zu nutzen. Es musste der nackte Arm einer Frau sein. Gebräunte Haut, ein Armreifen. Offenbar eine junge Frau.
Dann verschwand der Arm hinter dem Sichthindernis aus Stein. Alles Recken und Strecken half nichts. Er stöhnte. Keine zehn Meter vor seinem Fenster, auf dem Dach des Hinterhauses, das eine direkte Verbindung zu seinem Balkon hatte, saß eine Frau und trank Wein. Um 6 Uhr morgens.
Ab und zu waren Kinder über die Dächer gerannt, manchmal sah er, wie jemand an einer Antenne herumbog. Auf den Nachbarhäusern gab es oft Bauarbeiter. Die fleckige Dachpappe wurde heruntergerissen, dann folgten neue Holzbalken und gute Ziegel, meist ein Dachaufbau mit großen Fenstern und Aluminiumverschlag. Ansonsten kamen selten Leute nach oben. Diese Frau war eine Ausnahme.
Plötzlich lehnte sie sich zurück, und er konnte sie sehen. Sie schloss die Augen und ließ sich von der Morgensonne wärmen. Ein Mädchen mit wildem dunkelblondem Lockenkopf. Keine gestylten Locken, eher Rastalook. Sie trug einen grau glänzenden, ärmellosen Stoff und viele bunte Ketten.
Sie wird mich sehen, dachte Kai Sternenberg. Er ging an den Kühlschrank und nahm eine Flasche seines Hausweins heraus. Dann trat er auf den Balkon und kletterte an der Seite über die Brüstung. Mit der Flasche und einem Glas in der Hand war es umständlich, und es war die gefährlichste Stelle. Einen Schritt entfernt von der Mauer, an der es zwanzig Meter nach unten ging.
Langsam ging er auf die junge Frau zu und räusperte sich. Sofort sah sie ihn an.
Er deutete eine beschwichtigende Geste an. » Hallo. Das da drüben ist meine Wohnung. Ich bin eben nach Hause gekommen und habe dich hier sitzen sehen.«
Sie grinste.
Sternenberg wies auf die leere Weinflasche. » Ich habe eine neue mitgebracht. Würdest du noch ein Glas mit mir trinken?«
Sie machte eine huldvolle Bewegung und betrachtete ihn. » Hi!«, sagte sie und grinste wieder.
» Ich habe den Korkenzieher vergessen. Kleinen Moment, bin gleich zurück.«
» Warte! Gib mal her.« Sie nahm den Wein und wickelte die Folie ab. Die Flasche war beschlagen. Mit dem Daumen drückte sie den Korken in den Flaschenhals. Sternenberg sah, dass die Muskulatur über ihrem Armreif hervortrat. Dann goss sie beide Gläser randvoll und prostete ihm zu. » Schön kühl«, sagte sie.
Weißwein und Kondenswasser tropften ihm auf das T-Shirt.
Sie saßen und tranken und sagten nichts.
Sternenberg stellte das Glas auf das Teerdach. » Hast du dir den Sonnenaufgang angesehen?«
» Ich bin schon lange hier. Konnte nicht schlafen. War zu warm da unten.«
Er ignorierte, dass sie auf seine Frage nicht geantwortet hatte. » Die ganze Nacht hast du hier gesessen? Und geschlafen?«
» Ich habe nicht geschlafen. Es ist gut, wenn der Nachtwind so über den Körper streicht.«
» Kein Problem mit den Mücken?«
» Mich sticht keine. Weiß nicht, warum. Bloß die Fledermäuse waren irritiert, weil ich hier war.«
Sternenberg wusste, dass in den alten Dachböden und den bröckelnden Fassaden tausende Säuger saßen und bei Anbruch der Dämmerung tief über die Häuser jagten.
» Außerdem hat es gebrannt heute Nacht.«
» Gebrannt? Wo denn?«
Sie zeigte in die Sonne. » Irgendwo da hinten. Zu sehen war nichts, es hat nur heftig nach Rauch gestunken, und ständig gingen die Feuerwehrsirenen.«
» Die Feuerwache ist in der Oderberger Straße«, sagte er. Dann fiel ihm ein, dass sie das wusste, wenn sie in dem Haus wohnte. » Es war nicht eins der Lagerfeuer, meinst du?«
» Nein, wenn es ein Feuer der Trommler vom Mauerpark gewesen wäre, dann wäre der Rauch von da hinten gekommen. Es war aber da drüben.«
Im Gegenlicht waren die Häuser in der Sonne nur schemenhaft auszumachen.
Sie goss sich von dem hellen Wein nach, diesmal machte sie das Glas nur halb voll. Dann gab sie ihm davon. » Vielleicht hat wieder ein Dach gebrannt«, sagte sie.
» Wieso wieder?«
» Passiert doch öfter.«
» Aha. Habe ich noch nicht gehört. Ich wohne erst seit einem Jahr hier.«
» Ach, bist du von drüben?« Sie schloss die Augen. Aus ihrer entspannten Haltung schloss er, dass sie es nicht wirklich auf ein Ost-West-Gespräch abgesehen hatte.
» Ich habe ein paar Jahre am Ku’damm gewohnt«, sagte er, »
Weitere Kostenlose Bücher