Flaschenpost
Flaschenpost
Flaschenpost
by
Alexander Frost
Copyright
by Alexander Kühl
Ich weiß nicht, wo diese Flaschenpost ankommt. Ich weiß auch nicht, wer diese jemals lesen wird und ob diese überhaupt jemals gelesen wird. Trotzdem werde ich jetzt einfach anfangen, zu schreiben und mich überraschen lassen, wo sie landet. Obwohl ich es mit Sicherheit nie erfahren werde, hoffe ich, dass diese Botschaft in der freien Welt landet, damit „ihr“ wisst wie es in unserem Land aussieht, damit ihr wisst, wie es wirklich in unseren Herzen aussieht. Mein Name ist Arthur Ludwig, geboren in Berlin, im Juni des Jahres 2003. Meine Mutter erzählt mir heute noch, wie wunderschön und heiß dieser Tag war. Überhaupt schwärmt sie immer von dieser Zeit, „von damals“, als altdeutsche Namen wieder in Mode kamen. Oft sitzen wir zusammen und schauen uns Fotos von früher an. Manchmal kann ich gar nicht glauben, wie die Stadt damals aussah. Ich erinnere mich, dass mein Vater sagte: „Berlin, ist nicht mehr mein Berlin sondern hat sich in das biblische Babylon verwandelt. Einige Zeit später wurde er von der Polizei abgeholt. Ich habe ihn nie wieder gesehen und meine Mutter weint manchmal heute noch, dann nehme ich sie in meine Arme und sie schluchzt dann immer: „Hätte er bloß nicht diese Datenträger verteilt“. Er verteilte damals Datenträger an öffentlichen Plätzen. Inhalt dieser Datenträger war eine Warnung über die Zukunft, die uns erwartet, wenn wir keine politische und wirtschaftliche Kursänderung vornehmen. Verurteilt wegen Volksaufhetzung wurde er in die Oststaaten verschleppt und wir müssen davon ausgehen, dass er dort gestorben ist.
Die Zukunft meines Vaters, vor der er immer wieder warnte, ist Wirklichkeit und tatsächlich zu meiner Gegenwart geworden. Und wenn ich meine Mutter aus ihrer Vergangenheit erzählen höre, begreife ich, dass die Befürchtungen meines Vaters eingetroffen sind, obwohl er mit ganzer Kraft dagegen kämpfte. Nach der Verurteilung meines Vaters nahm man meiner Mutter allen Besitz. Wir mussten unser Haus in Zehlendorf verlassen und eine Mietwohnung im Zentrum beziehen. Von meiner Mutter weiß ich, dass der Bezirk „Zentrum“ früher aus vier Bezirken bestand und die hießen: Friedrichshain, Wedding, Kreuzberg und Mitte. Diejenigen, die im Zentrum wohnen, verdienen den vorgeschriebenen Mindestlohn, aber dieser reicht gerade einmal für die Miete und um nicht zu verhungern. Zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel.
Es ist Wahnsinn wenn ich Fotos von früher sehe. Das Zentrum ist nicht mehr wieder zu erkennen. Wolkenkratzer, und zwar die höchsten der Welt ragen in den Berliner Nachthimmel. Vier Millionen Menschen leben allein im Zentrum. Beton und Stahl statt Grünanlagen. Selbst am Tage scheint es Dunkel. Die Sonne hat nicht genug Kraft, in das Zentrum Berlins hinein zu strahlen. An den Ecken wird geraucht und getrunken, um der Realität zu entfliehen. In manchen Straßen begleitet einem die Musik eines Straßenmusikers, aber nur solange, bis erneut die Sirene eines Polizeiautos ertönt und du wieder weißt, dass du im Ghetto bist. Das Zentrum ist eingezäunt und hat alle 2,5 km einen Kontrollübergang zu den Außen- oder Regierungsbezirken. Es gleicht wirklich einem Ghetto. In den Außenbezirken leben die, die sich es leisten können oder Beziehungen zur Regierung haben. Neben dem Reichstag steht das Kontrollrechenzentrum.
Zweimal so hoch und viermal so groß wie der Reichstag. Dort ist mein Arbeitsplatz als Reinigungskraft und dies ermöglicht mir natürlich das Verlassen des Zentrums. Manchmal erlebe ich eine Führung von Schulklassen durch das Gebäude wenn ich mit der Reinigungsmaschine durch die Gänge fahre. Manchmal bekomme ich dann einige Wortfetzen mit oder gar ganze Ausführungen, in denen die Funktion und der Sinn des Kontrollrechenzentrums verharmlost wird. Im Prinzip ist es dafür zuständig, um seine Einwohner zu kontrollieren und sogar zu isolieren. Dieses System war so konzipiert, dass alles, was sich an Nachrichten, Mails, Telefonaten und verschickten Daten in Germanien bewegte auch darin blieb. Natürlich funktionierte auch der umgekehrte Fall, alles, was sich außerhalb Germaniens befand, konnte nicht ins Land dringen. Wir konnten uns nie ein Bild machen über die freie Welt da draußen.
Wir hatten nur unseren Schulunterricht und unsere manipulierten Nachrichten. Manchmal hörte ich auch aus Unterhaltungen in
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