Flegeljahre am Rhein
liebe, gute Mama!“
Und Klothilde springt auf, die ganze Lyrik purzelt auf die Erde, Klothilde nimmt beide Hände
von Mama, küßt sie. Frau Mama ist überwältigt. „Du gute, liebe Mama!“
Tränen?
Nein, für Tränen der Rührung bleibt für Frau Emma jetzt keine Zeit. Jetzt muß sie erzählen. Jetzt muß sie ihrem Kinde sagen, was sie seit langem bewegt. Und das Kind Klothilde sitzt selig da und denkt nicht mehr an Lyrik, die noch immer auf dem Boden liegt, und lächelt und nimmt hin und wieder die Hände der guten, lieben Frau Mama.
„Ja, mein Klothildchen, mein einziges Kind, mit Vater habe ich schon gesprochen. Er wird einverstanden sein müssen, was sage ich, er ist einverstanden!“
Wieder schnorrt dieser freche Kuckuck dazwischen, gerade jetzt, da Frau Emma gewichtig feststellt, wer Herr im Hause Peterstraße 7a ist. „Kind, wir gehen schlafen. Wir wollen nicht länger auf Vater warten. Er wird sich wundern, er wird sich noch sehr wundern... Kind, den Gute-Nacht-Kuß!“
Klothilde küßt Frau Mama auf die rechte Wange. „Backe“ darf ich nicht sagen, das ist viel zu profan für einen so feierlichen Kuß.
Klothilde denkt noch nicht an Schlaf. Sie träumt von Glück, sie fühlt ein Wunder. Das Klavier soll mitträumen. „Träumereien“ von Schumann. Klot-
Hilde träumt schlecht. Aber sie träumt. Das „Gebet einer Jungfrau“ geht wesentlich besser.
☆
Rebenheim liegt wie tot. Nirgends ein Licht, kein Laut, kein Tritt. Irgendwo miaut eine Katze. Vom Rhein her bubbert ganz leise das Geräusch eines Motors herüber. Ein Polizeiboot, wer weiß.
Das Licht des Mondes, hell und rein, spielt auf den Giebeln der alten Fachwerkhäuser, tanzt auf den Blättern der alten Linde am Dorfplatz, hüpft über die kleinen Wellen des Baches, der keck durch das Dorf fließt und nach ein paar Minuten sein Wasser dem großen Bruder Rhein schenkt...
Im kleinen Gastzimmer vom „Tapferen Schneiderlein“ liegt der Qualm von Zigarren jetzt so dicht, daß eine Gänsefeder darin stehen könnte. Mitternacht ist längst vorbei. Er wird gleich ein Uhr sein.
In der Ecke, an dem großen runden Tisch, regt sich etwas. Ein Kopf ist in die Hände gestützt. Wenn man genau hinsieht, entdeckt man, daß der Kopf nur noch einige graue Härchen trägt, daß dazwischen eine Glatze schimmert, gelbrosig wie der Rücken eines Schweinchens.
Ein Glas Wein, halbvoll, steht da.
Ein Aschenbecher, übervoll, hat die Tischdecke verschmiert.
Der Eigentümer des Kopfes, scheinbar auch bald voll, ist nicht mehr zu sprechen.
Bis eben hat er große Reden geführt. Nur ja nicht heiraten soll er, der Herr Wirt. Der Herr Wirt ist aber schon verheiratet. Nur ja keine Tochter soll er sich anschaffen, die einmal heiraten soll. Der Herr Wirt hat aber schon zwei Töchter verheiratet. Nur soll er ja nicht auf die Frauen hören. Da kommt aber Frau Wirtin und holt ihn weg, den Herrn Wirt, weil da vorne, im großen Zimmer, ein dritter Mann zum Skat gebraucht wird.
Zum Teufel, er soll gehen und Skat spielen, er versteht ja doch nichts von den Nöten eines Vaters, der nun bald Schwiegervater werden und alles mögliche über sich ergehen lassen soll.
Da geht plötzlich alles rund, da scheint etwas nicht zu stimmen, wo ist denn... wo kommt denn — ah, da liegt sie ja, hupp, die Zigarre... und da liegt auch auf einmal — bums, Kopf hoch, Kopf hoch, gut, nach Hause gehen, hupp — besser noch nicht, und da liegt der Kopf in den Händen, und da liegt die Asche, und da steht das halbvolle Glas, und da qualmt ein Brasilstummel fürchterlich, weil seine Glut erstickt, und da... und dann...
„He, Herr... Herr Studienrat! Gleich ein Uhr.
Wissen Sie, da vorne ist schon alles leer, ich möchte Feierabend machen, Herr ..
„Hi? Feier—abend? Die Sache“ — langsam, ganz langsam, Bruchstück um Bruchstück — „ist nämlich die... wissen Sie...“
Der Wirt weiß nicht. Kann es sich aber denken. Außerdem hat er vorgesorgt:
„So, hier ist heißer Kaffee, ganz stark. Trinken Sie. Richtig so. Na, seh’n Sie! Jetzt die irische Luft draußen, sollen mal sehen, dann geht das schon wieder...“
Er wird gehen. Es ist schon so oft gegangen. „Zahlen!“
Der Wirt nimmt seinen Block. Jeder Strich ein Glas, elf, zwölf, dreizehn...
„Hier, zwei Mark, Herr Wirt. Die Sache, emm, ist nämlich, hick...“
Schon gut, schon gut. In Rebenheim ist man nicht so. Ohne Geld — das kann vorkommen. Jawohl, der Herr Studienrat kann unbesorgt, bitte sehr, danke
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