Flüstern in der Nacht
ich jenen Traum tatsächlich, dachte sie. Der Ort aus meiner Phantasie ist Wirklichkeit geworden; er gehört mir. Die Rosen und anderen Pflanzen zu pflegen – die Palmen und Farne, die Jadesträucher und Dutzende anderer Gewächse – bereitete ihr keine Mühe. Es machte Freude. Jede Minute, die sie mit ihren Blumen verbrachte, ließ ihr aufs neue bewußt werden, wie weit sie es gebracht hatte. Gegen Mittag räumte sie ihre Gärtnerwerkzeuge weg und duschte. Sie stand lange Zeit unter dem dampfendheißen Wasser, so als gäbe es mehr als nur Schmutz und Schweiß abzuspülen – als müsse sie auch all die häßlichen Erinnerungen wegwaschen. In jenem deprimierenden Apartment in Chicago, in dem winzigen Badezimmer, in dem sämtliche Wasserhähne tropften und die Abflüsse wenigstens einmal im Monat verstopft waren, gab es nie genug heißes Wasser. Sie nahm im Lichthof, von dem aus man die Rosen sehen konnte, ein leichtes Mittagessen zu sich. Sie knabberte an ihrem Käse und an ein paar Apfelscheiben und las in Fachzeitungen der Unterhaltungsindustrie – den Hollywood Reporter und Daily Variety –, die mit der Morgenpost gekommen waren. Ihr Name war in Hank Grants Spalte im Reporter aufgelistet, zusammen mit den Leuten aus der Film- und Fernsehbranche, die heute Geburtstag hatten. Für eine Frau mit gerade neunundzwanzig Jahren hatte sie es wirklich weit gebracht. Heute würden die leitenden Herren bei Warner Brothers Die Stunde des Wolfes besprechen, ihr letztes Drehbuch. Spätestens heute abend hätten sie entschieden, ob sie das Drehbuch kaufen oder ablehnen würden. Sie war angespannt und wartete darauf, daß das Telefon klingelte, sehnte sich danach und fürchtete sich doch auch ein wenig, denn vielleicht würde die Nachricht eine Enttäuschung bringen. Dieses Projekt bedeutete ihr mehr als alles, was sie bisher unternommen hatte. Sie schrieb dieses Drehbuch ohne die Sicherheit eines festen Vertrages, auf Verdacht hin, und hatte sich fest vorgenommen, es nur dann zu verkaufen, wenn man ihr Regie und Endschnitt übertragen würde. Warners hatten bereits angedeutet, ihr unter der Voraussetzung, daß sie ihre Bedingungen noch einmal überdachte, ein Angebot in Rekordhöhe zu machen.
Sie wußte, daß sie viel verlangte; aber in Anbetracht ihrer bisherigen Erfolge schienen ihre Forderungen nicht völlig unvernünftig zu sein. Am Ende wären Warners wohl widerstrebend einverstanden, daß sie Regie führte; darauf würde sie jede Wette eingehen. Der Schlußschnitt bildete das eigentliche Hindernis: Diese Ehre, die Vollmacht, exakt darüber zu entscheiden, was schließlich letztendlich auf der Leinwand erschiene. Diese letzte Entscheidungskompetenz für jede Aufnahme und jede Feinheit des Films tragen gewöhnlich solche Regisseure, die ihre Qualifikation bereits in zahlreichen erfolggekrönten Filmen unter Beweis gestellt hatten; einem Neuling gewährte man solch ein weitreichendes Privileg selten, ganz besonders nicht weiblichen Anfängern auf dem Regiestuhl. Ein allzu hartnäckiges Beharren darauf könnte durchaus dazu führen, daß der Vertrag nicht zustande kam. In der Hoffnung, sich von der anstehenden Entscheidung abzulenken, verbrachte Hilary den Mittwochnachmittag in ihrem Arbeitszimmer mit Blick auf den Swimmingpool. Sie hatte sich nach ihren Wünschen einen großen, schweren Eichenschreibtisch mit einem Dutzend Schubladen und zwei Dutzend Ablagefächern anfertigen lassen. Ein paar Lalique-Kristallgegenstände standen auf dem Schreibtisch und brachen den weichen Lichtschein zweier Messing-Pianolampen. Sie saß nun über dem zweiten Entwurf für einen Artikel im Filmkommentar, doch ihre Gedanken wanderten immer wieder zur Stunde des Wolfes.
Um vier Uhr klingelte das Telefon; sie zuckte zusammen, obwohl sie den ganzen Nachmittag auf diese Klingeln gewartet hatte. Wally Topelis war dran. »Ich bin's, dein Agent, Kleines. Wir müssen reden.« »Tun wir das jetzt gerade nicht?« »Ich meine persönlich.«
»Oh«, sagte sie bedrückt. »Dann hast du schlechte Nachrichten.«
»Hab' ich das gesagt?«
»Wäre es eine gute Nachricht«, meinte Hilary, »dann würdest du sie sofort am Telefon verkünden. Persönlich heißt, daß du mich vorsichtig vorbereiten willst.«
»Du bist der klassische Pessimist, Kleines.« »Persönlich heißt, daß du meine Hand halten und mir den Selbstmord ausreden willst.«
»Was für ein Glück, daß deine melodramatische Ader nie in deinen Drehbüchern auftaucht.«
»Wenn Warners
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