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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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trinken, aber kaum hatten sich die Männer erholt, schoben sie sie zurück in die Prozession. Kolonnen von Indios, die sich mit beängstigender Inbrunst kasteiten, und Musikkapellen, die religiöse Hymnen spielten, zogen vorbei. Der rauschende Schwall der wehklagenden Gebete glich dem Tosen eines Wildwasserstromes, und die feuchte Luft roch nach Weihrauch und Schweiß. Es gab Prozessionen von Aristokraten, vornehm dunkel gekleidet und ohne Schmuck, und andere von barfüßigem, zerlumptem Elendsvolk, die sich bisweilen kreuzten, aber ohne sich zu berühren oder zu vermischen. Mit der Zeit wuchs das Wehgeschrei mehr und mehr an, die Gläubigen flehten heulend um Vergebung für ihre Sünden, sie waren sicher, daß das schlimme Wetter die göttliche Strafe für ihre Verfehlungen war. Die reuigen Büßer liefen in Massen herbei, die Kirchen konnten sie nicht mehr fassen, und so richteten sich ganze Reihen von Priestern unter Marktzelten und Schirmen ein, um die Beichten abzunehmen. Der Engländer Todd war fasziniert von dem Schauspiel, auf keiner seiner Reisen hatte er etwas so Exotisches und gleichzeitig Unheimliches mit angesehen. An protestantische Nüchternheit gewöhnt, war ihm, als wäre er ins tiefste Mittelalter zurückversetzt; seine Londoner Freunde würden ihm dies niemals glauben. Selbst aus weiter Entfernung konnte er das Zittern des leidenden Tieres spüren, das in Wellen durch die Menschenmasse lief. Er stemmte sich mit einiger Mühe hoch auf den Sockel eines Denkmals, das auf dem kleinen Platz gegenüber der Kathedrale stand und von wo er einen umfassenden Überblick über die Menge hatte.
    Plötzlich fühlte er, daß ihn jemand am Hosenbein zupfte, er sah hinunter, und da stand ein kleines Mädchen mit einem Umhang über dem Kopf und einem von Blut und Tränen verschmierten Gesicht. Er zog unwirsch sein Bein hoch, aber zu spät, sie hatte ihm die Hose schon beschmutzt. Er fluchte und versuchte sie durch Gesten wegzuscheuchen, an die passenden spanischen Worte konnte er sich nicht erinnern, aber zu seiner Verblüffung erklärte sie ihm in perfektem Englisch, sie habe sich verlaufen und ob er sie vielleicht nach Hause bringen könne. Da sah er sie genauer an.
    »Ich bin Eliza Sommers. Erinnern Sie sich an mich?« sagte das Kind schüchtern.
    Die Tatsache ausnutzend, daß Miss Rose in Santiago für das Porträt saß und Jeremy in diesen Tagen selten zu Hause erschien, weil die Warenschuppen seiner Firma überschwemmt waren, hatte sie Mama Fresia vor– geschlagen, zur Prozession zu gehen, und hatte der Armen so zugesetzt, daß die schließlich nachgegeben hatte. Ihre Herrschaft hatte ihr verboten, katholische oder Indioriten vor dem Kind zu erwähnen oder es gar der Möglichkeit auszusetzen, dergleichen zu sehen, aber auch sie starb vor Verlangen, den Christus von Mayo wenigstens einmal im Leben zu erblicken. Die Geschwister Sommers würden es ja nie erfahren, beruhigte sie sich. So schlichen sich also die beiden heimlich aus dem Haus, wanderten den Berg hinunter, bestiegen einen Ochsenkarren, ließen sich in der Nähe des Hauptplatzes absetzen und schlossen sich einer Reihe bußwilliger Indios an. Alles wäre gut gegangen, hätte Eliza sich nicht von Mama Fresias Hand losgemacht, die, angesteckt von der allgemeinen Hysterie, nichts merkte und sich von der Menge mitschieben ließ. Eliza sah sich plötzlich allein gelassen und fing an zu schreien, aber ihre Stimme verlor sich im Lärm der Gebete und der trübseligen Trommeln der Bruderschaften. Sie lief los, ihre Nana zu suchen, aber alle Frauen sahen gleich aus unter den dunklen Umhängen, und sie rutschte dauernd aus auf dem von Schlamm, Kerzenwachs und Blut bedeckten Pflaster.
    Inzwischen hatten sich die verschiedenen Kolonnen zu einer einzigen Masse vereint, die sich wie ein verwundetes Tier dahinschleppte, während die Glocken wie wahnsinnig läuteten und die Schiffe im Hafen tuteten.
    Sie wußte nicht, wie lange sie von Entsetzen gelähmt war, bis nach und nach ihre Gedanken wieder klar wurden. Inzwischen war die Prozession zur Ruhe gekommen, alle waren in die Knie gesunken, und auf einer Estrade gegenüber der Kirche zelebrierte der Bischof persönlich ein feierliches Hochamt. Eliza dachte daran, zum Cerro Alegre zu Fuß zu gehen, aber sie hatte Angst, daß die Dunkelheit sie unterwegs überraschen werde, sie war noch nie allein ausgegangen und wußte nicht, wie sie sich zurechtfinden sollte. Sie beschloß, sich nicht von der Stelle zu rühren, bis die

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