Das Mittelmeer: Eine Biographie (German Edition)
Vorwort
Eine »Geschichte des Mittelmeeres« kann vieles bedeuten. Dieses Buch ist eher eine Geschichte des Mittelmeeres als der Länder in seinem Umkreis. Genauer gesagt, handelt es sich um eine Geschichte der Menschen, die dieses Meer befuhren und an seinen Küsten in Hafenstädten oder auf Inseln lebten. Ich befasse mich hier mit dem Prozess, in dem das Mittelmeergebiet in unterschiedlichem Maße zu einem einzigen wirtschaftlichen, kulturellen und (mit den Römern) sogar politischen Raum wurde, und mit den Umständen, unter denen diese Integrationsphasen in einem zuweilen gewaltsamen Niedergang endeten, ob nun durch Krieg oder durch Pest. Ich unterscheide für das Mittelmeer insgesamt fünf Zeitalter: ein Erstes Mediterranes Zeitalter, das nach 1200 v.Chr. im Chaos versank, also etwa zu der Zeit, als Troja untergegangen sein soll; ein Zweites Mediterranes Zeitalter, das bis etwa 500 n.Chr. bestand; ein Drittes Mediterranes Zeitalter, das sich langsam herausbildete und zur Zeit der Großen Pest ( 1347 ) in eine tiefe Krise geriet; ein Viertes Mediterranes Zeitalter, das mit wachsender Konkurrenz aus dem atlantischen Raum und der Vorherrschaft atlantischer Mächte zu kämpfen hatte und das etwa um die Zeit endete, als 1869 der Suezkanal eröffnet wurde; und schließlich ein Fünftes Mediterranes Zeitalter, in dem das Mittelmeer ein Durchgangsgebiet zum Indischen Ozean wurde, in der zweiten Hälfte des 20 . Jahrhunderts aber überraschend eine neue Identität entwickelte.
Mein »Mittelmeer« beschränkt sich eindeutig auf das Meer selbst, samt seinen Küsten und Inseln und vor allem den Hafenstädten, die Ausgangs- und Zielpunkte für all jene waren, welche es befuhren. Diese Definition ist enger als die des großen Pioniers der Geschichte des Mittelmeerraums Fernand Braudel, die gelegentlich auch Regionen jenseits der Küstengebiete umfasste. Doch der Mittelmeerraum Braudels und der in seinem Gefolge arbeitenden Historiker war eine Landmasse, die sich weit über die Küstenregionen und das eigentliche Meeresbecken hinaus erstreckte, und noch immer gibt es eine Tendenz, den Mittelmeerraum über den Olivenanbau oder die ins Mittelmeer mündenden Flusstäler zu definieren. Dies hieße aber, die oft sesshaften und traditionalen Gesellschaften jener Täler in die Untersuchung einzubeziehen, in denen die Nahrungsmittel und Rohstoffe produziert wurden, mit denen man auf dem Mittelmeer Handel trieb, wodurch auch Landratten an Bord zu holen wären, die das Meer niemals gesehen haben. Natürlich kann man das Hinterland – die Ereignisse, die dort stattfanden, die Produkte, die dort erzeugt wurden oder ihren Weg durch diese Regionen nahmen – nicht außer Acht lassen, doch dieses Buch konzentriert sich auf die Menschen, die tatsächlich ihre Füße ins Wasser streckten oder, besser noch, selbst übers Meer fuhren und sich am kulturübergreifenden Seehandel, an der Verbreitung religiöser und sonstiger Ideen oder, ebenso bedeutsam, an Seekriegen um die Herrschaft über die Schiffsrouten beteiligten.
Obwohl das Buch recht lang geworden ist, gab es schwierige Entscheidungen darüber, welche Aspekte aufzunehmen und welche zu übergehen waren. Ausdrücke wie »vielleicht«, »möglicherweise« und »wahrscheinlich« finden sich seltener, als es angemessen erscheinen mag. Vor allem Aussagen über die Frühzeit ließen sich in dieser Weise einschränken, mit der Folge, dass hier für die Leser möglicherweise ein Schleier der Ungewissheiten entstünde. Mein Ziel war es, die Menschen, Vorgänge und Ereignisse zu beschreiben, die den Mittelmeerraum ganz oder teilweise verändert haben, statt eine Serie von Mikrogeschichten der Randgebiete zu verfassen, so interessant solche Teilgeschichten auch sein mögen. Ich habe mich deshalb auf jene Aspekte konzentriert, die meines Erachtens langfristig bedeutsam waren, wie etwa die Gründung Karthagos, die Entstehung Dubrovniks, der Einfluss der barbarischen Seeräuber oder der Bau des Suezkanals. Die religiösen Interaktionen nehmen viel Raum ein, und natürlich schenke ich den Konflikten zwischen Christen und Muslimen große Aufmerksamkeit, aber auch den Juden, die als Händler im Frühmittelalter und dann nochmals in der frühen Neuzeit eine herausragende Rolle spielten. Ab der klassischen Antike habe ich jedem Jahrhundert etwa gleich viel Raum gewidmet, denn ich wollte keines jener pyramidenartigen Bücher schreiben, in denen man die früheren Perioden rasch durcheilt, um möglichst
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