Foundation 02: Die Stahlhöhlen
Leute waren in
bezug auf Rangprivilegien recht kleinlich, und Baley fühlte sich
in dieser Beziehung ganz den ›Leuten‹ zugehörig.
Über den gekrümmten Windschutzscheiben vor jedem Sitz
war das charakteristische Pfeifen der Luft zu hören. Das machte
es ziemlich schwierig, sich zu unterhalten; aber das Denken
behinderte es nicht, wenn man es gewöhnt war.
In der einen oder anderen Hinsicht waren die meisten Erdenmenschen
Traditionalisten. Das fiel nicht schwer, wo man doch nur an eine Zeit
zurückzudenken brauchte, da die Erde die Welt war, nicht
nur eine von fünfzig. Die am gründlichsten mißratene
von diesen fünfzig freilich. Baleys Kopf zuckte nach rechts, als
er eine Frau aufkreischen hörte. Sie hatte die Handtasche
fallenlassen; er sah sie einen Augenblick lang, einen pastellrosa
Flecken vor dem stumpfen Grau der Streifen. Ein Passagier, der den
Expreßway verlassen hatte, mußte sie versehentlich
angestoßen haben, und jetzt entfernte sich die Handtasche in
Windeseile auf dem Langsamer-Streifen von ihrer Besitzerin.
Um Baleys Mundwinkel zuckte es. Wenn sie geschickt war, konnte sie
sie zurückbekommen; sie brauchte nur den Expreßway zu
verlassen und selber auf dem Langsamer-Streifen davoneilen, immer
vorausgesetzt, daß nicht jemand die Tasche anstieß. Ob
sie das tun würde oder nicht, würde er nie erfahren. Das
Ganze spielte sich inzwischen bereits einen Kilometer hinter ihm
ab.
Wahrscheinlich würde sie es nicht schaffen. Man hatte einmal
ausgerechnet, daß im Durchschnitt alle drei Minuten irgendwo in
der Stadt etwas auf den Streifen herunterfiel und von seinem Besitzer
nicht mehr zurückgeholt wurde. Das Fundamt war eine umfangreiche
Behörde. Das war eine der Komplikationen des modernen
Lebens.
Früher war es einmal einfacher gewesen, dachte Baley. Alles
war einfacher gewesen. Das war es, was die Traditionalisten so
bewegte.
Dieser Traditionalismus nahm verschiedene Ausprägungen an.
Für den phantasielosen Julius Enderby bedeutete es, daß er
sich mit Antiquitäten umgab. Brillen! Fenster!
Für Baley bedeutete es das Studium der Geschichte.
Insbesondere das Studium der Menschen früherer Epochen.
Die City zum Beispiel! New York City, die City, in der er lebte
und seinen Lebensunterhalt verdiente. Größer als jede
andere City, außer Los Angeles. Mit mehr Einwohnern als jede
andere, außer Shanghai. Dabei war sie erst dreihundert Jahre
alt.
Natürlich hatte vorher am selben geographischen Ort schon
etwas existiert, das man damals New York City genannt hatte.
Jene primitive Bevölkerungsansammlung hatte dreitausend Jahre
existiert, nicht dreihundert; aber es war keine City gewesen.
Damals hatte es keine Cities gegeben, nur Ansammlungen von
Behausungen, groß und klein, und der Luft ausgesetzt. So etwas
Ähnliches wie die Kuppeln der Spacer, nur ganz anders
natürlich. Diese Ansammlungen (die größte davon hatte
die Bevölkerungszahl von knapp zehn Millionen erreicht, und die
meisten nicht einmal eine Million) waren zu Tausenden über die
ganze Erde verstreut gewesen. Nach modernen Vorstellungen waren sie
in ökonomischer Hinsicht völlig uneffizient gewesen.
Die wachsende Bevölkerung hatte die Erde zur Effizienz
gezwungen. Der Planet konnte zwei Milliarden, drei Milliarden, ja
sogar fünf Milliarden ernähren, indem der Lebensstandard
zunehmend herabgesetzt wurde. Aber als die Bevölkerungszahl
einmal die acht Milliardengrenze überschritten hatte,
mußte man die Lebensweise der Menschen radikal verändern,
um den Hungertod aller abzuwenden; insbesondere, als sich
herausstellte, daß die Äußeren Welten (die vor
tausend Jahren einfach Kolonien der Erde gewesen waren) ihre
Einwanderungsrestriktionen ungemein streng handhabten.
Diese radikale Veränderung hatte im Laufe von tausend Jahren
zum Entstehen der Cities geführt. Effizienz setzte
Größe voraus. Selbst im Mittelalter hatte man das erkannt,
vielleicht unbewußt. Die Heimarbeit wich den Fabriken, und die
Fabriken den Kontinente umspannenden Industrieunternehmen.
Man stelle sich nur die geringe Effizienz von hunderttausend
Häusern für hunderttausend Familien vor und vergleiche sie
mit einer Hunderttausend-Einheiten-Sektion; eine Buchfilm-Sammlung in
jedem Haus, verglichen mit einem Film-Kombinat pro Sektion;
unabhängiges Video für jede Familie, im Vergleich mit
verkabelten Video-Systemen.
Und was das betrifft, so brauchte man ja nur an
die Unsinnigkeit der endlosen Vervielfältigung von Küchen
und Badezimmern zu
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