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Frage 62

Frage 62

Titel: Frage 62 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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das Blut in ihren Adern, und sie amüsierte sich genauso gern wie jeder andere. Doch es war schwer, Leute zu finden, die um acht Uhr morgens durch die Bars ziehen wollten – abgesehen von geborenen Versagern und Rentnern mit verkniffenen Gesichtern, die ihren doppelten Wodka anstierten, als könnte der ihnen den Schlüssel zu ihrer Persönlichkeit zurückgeben –, und wenn sie an einem freien Abend allein ausging, saß sie vor ihrem Bier, wenn alle anderen aufstanden, um zu tanzen. Also bat sie ihn herein, diesen Todd, und nun saß er auf ihrer Couch, mit seinen abgewetzten Cowboystiefeln und den endlos langen Beinen. Sie bot ihm ein paar alte Cracker und ein leuchtend orangerotes Stück Cheddar an, von dem sie heimlich den Schimmel geschabt hatte, und fragte ihn, ob er vielleicht auch ein Glas Chardonnay wollte.
    Sein Grinsen war zunächst verschwunden, doch nun kehrte es zurück, ein jungenhaftes Grinsen, mit dem er, wo immer er war, bestimmt erreichte, was immer er wollte. Er schob die Mütze so weit zurück, dass man den Haaransatz an der Stirn sehen konnte, setzte sich auf und zog die Beine zu sich. Sie sah, dass er etwa in ihrem Alter war, und sah auch, dass er keinen Ehering trug. »Es ist eigentlich noch ein bisschen früh für mich«, sagte er, und sein Lachen klang echt, »aber wenn Sie auch einen trinken …«
    Sie schenkte bereits ein. »Ich sage doch, ich komme gerade von der Nachtschicht.«
    Der Wein war einer der wenigen Genüsse, die sie sich gönnte, und stammte von einem kleinen Weingut im Santa Ynez Valley. Als sie im vergangenen Jahr zu Weihnachten ihre Schwester Mae besucht hatte, waren sie zu einer Weinprobe gefahren, und der feine Abgang des Chardonnays hatte ihr so gefallen, dass sie sich zwei Kartons nach Wisconsin hatte schicken lassen. Eigentlich wollte sie ihn aufheben, aber heute morgen fühlte sie sich aufgeschlossen und großzügig, und das lag nicht an den zwei Gläsern Scotch oder der Art, wie die Heizung tickte und summte und sich ein dünner Finger aus blässlichem Sonnenschein zwischen den Jalousien hindurchschob. »Für mich ist jetzt Cocktailzeit«, sagte sie und reichte ihm sein Glas. »Ein bisschen Entspannung vor dem Abendessen.«
    »Genau«, sagte er, »während draußen alle zur Arbeit fahren, Krümel auf dem Schoß und einen Pappbecher mit lauwarmem Kaffee in der Hand. Ich hab auch mal Nachtschicht gearbeitet«, fuhr er fort. »An einer Raststätte. Ich weiß, wie das ist.«
    Sie setzte sich in den Sessel ihm gegenüber, und er streckte wieder die Beine aus, als könnte er sie nicht bei sich behalten, kreuzte die Füße, stellte sie wieder nebeneinander und kreuzte sie abermals. »Und was machen Sie jetzt?« fragte sie und wünschte, sie hätte Gelegenheit gehabt, ein wenig Lippenstift aufzulegen und ihr Haar zu bürsten. Später, dachte sie. Dafür war später noch Zeit. Besonders wenn er auf ein zweites Glas blieb.
    Sein Blick, der auf ihr geruht hatte, seit er gebeugt durch die Tür getreten war, schweifte kurz zur Seite und kehrte zu ihr zurück. Er zuckte die Schultern. »Dies und das.«
    Darauf wusste sie nichts zu sagen, und so schwiegen sie eine Weile, während sie zuhörten, wie der Wind um den Trailer wehte. »Schmeckt er ihnen?«
    »Hm?«
    »Der Wein.«
    »Oh, ja, klar. Ich bin kein Kenner, aber … ja, doch.«
    »Es ist ein kalifornischer Wein. Meine Schwester lebt in Kalifornien. Ich hab ihn direkt beim Winzer gekauft.«
    »Schön«, sagte er, und sie merkte, dass er höflich sein wollte. Als nächstes würde er wahrscheinlich sagen, er sei eher ein Biertrinker.
    Sie wollte noch mehr erzählen, von dem Weingut, den akkuraten Reihen aufgebundener Rebstöcke, die sich um die Hügel zogen und in die kleinen Täler hinabwanden wie der Wirbel eines Schneckengehäuses, von dem Verkostungsraum und der Wärme der Sonne auf ihrem Gesicht, als sie und Mae draußen an einem Redwoodtisch gesessen und auf ihr gemeinsames Wohl und die Kraft der Heilung und den Beginn eines neuen Lebens für sie beide getrunken hatten, doch sie spürte, dass ihn das nicht interessieren würde. Also beugte sie sich vor, stützte, während er mit lang ausgestreckten Beinen dasaß, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan, die Ellbogen auf die Knie unter der hellblauen Arbeitshose, die sie jeden Abend anzog, und sagte: »Was ist das für eine Frage, die Sie mir stellen wollen?«
    Je länger sie sprach, desto ruhiger schien der Tiger zu werden. Nach einer Weile blieb er stehen, lehnte

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