Frau Schick macht blau
meine tote Tante im Kleiderschrank …«
Grünschnabel geht unwirsch dazwischen. »Hatten Sie kürzlich einen Unfall oder irgendein anderes verstörendes Erlebnis? Hat Sie zum Beispiel jemand tätlich angegriffen? Sind Sie gestürzt und auf den Kopf gefallen?«
Das sollte der sich mal fragen!
»Junger Mann, Sie verstehen es wirklich, schlechte Stimmung zu verbreiten. Verstört war ich, bevor ich den spanischen Camino gegangen bin, weil meine verstorbene Freundin ein Kind von meinem Mann bekommen hat. Völlig unerwartet.«
Herrje, jetzt guckt dieser Kerl wieder völlig kariert. Kein bisschen wie ein angehender Nervenheilarzt, eher wie das glatte Gegenteil.
»Bei der verstorbenen Freundin handelt es sich jetzt aber nicht um diese Frieda, oder?«
» Freda, sie heißt Freda, Herr Doktor und war nie meine Freundin, geschweige denn die Geliebte meines Verstorbenen. Selbst ein Schwerenöter wie Paulchen Schick hätte diese Schreckschraube nicht mit der Kneifzange angefasst. Meine tote Freundin hieß Thekla. Aber der habe ich längst verziehen. Schließlich bin ich dank Thekla den Camino gegangen und habe dort lauter reizende neue Bekanntschaften gemacht. Den Herrn Herberger, Bettina Blauauge, die mit den Bäumen spricht, den transzendentalen Theodor, und nachdem ich Gott begegnet bin, habe ich in einem baskischen Wald auch noch meine Lumpen-Nelly entdeckt. Hinreißende Frau, so hübsche Beine, nur ganz verheult vor Liebeskummer …«
»Moment, Moment. Bitte langsam. Sie sind Gott begegnet?
»Ja.«
»Wo?«
»Auf dem Jakobsweg natürlich. In einer Kirche. Obwohl ich da zuletzt mit ihm gerechnet hätte. Zumal das Gotteshaus von Burguete innen recht verhunzt ist, aber dafür gab es in dem Hotel, in dem unsere Pilgergruppe geschlafen hat, eine berühmte und schmackhafte Bohnensuppe von Hemingway, der war schon vor uns da. Aber bevor Sie jetzt wieder auf dumme Gedanken kommen: Hemingway ist tot, mausetot !«
»Und Gott?«
Meine Güte, stellt der auf einmal Fragen! »Ob Gott lebt, muss seit Nietzsche jeder für sich entscheiden, Herr Doktor«, sagt sie ungeduldig. »Ich hatte auf dem Camino anfangs selbst erhebliche Zweifel an seiner Existenz, weil ich wütend auf meine tote Freundin Thekla und meinen Verstorbenen war. Mir vierzig Jahre ihr folgenreiches Fistanöllchen zu verschweigen! So was tut man nicht, und das habe ich den beiden auch gesagt.«
»Frau Schick, verstehe ich wenigstens das richtig: Sie reden häufiger mit Toten?«
»Ich rede keineswegs häufiger mit Toten, außer mit Thekla und wenn ich bete, aber mit Thekla ist alles geklärt. Mit Freda von Todden – diesem Miststück – würde ich im Leben kein Wort mehr wechseln. Was sollte die außerdem von mir wollen?«
»Bleiben wir zunächst bei dieser Thekla.« Der Grünschnabel lehnt sich zurück und verschränkt die Hände hinter seinem Kopf. Er ist noch immer sichtlich verwirrt. »Hat die Ihnen auch mal geantwortet?«
»Das ist schwerlich möglich, sie ist schließlich tot.«
»Gut, gut, lassen wir das. Zurück zu Ihrer Begegnung mit Gott.«
»Welcher? Ich hatte mehrere.«
»Wann war die erste?«
»Das habe ich doch gerade gesagt: in der Kirche von Burguete. Ich habe es erst selbst nicht glauben wollen, weil sein Sohn so fürchterlich abstehende Ohren hatte.«
»Welcher Sohn?«
Also jetzt schlägt’s dreizehn. Der weiß ja gar nichts!
»Jesus. Ich hoffe, Sie haben wenigstens von ihm schon einmal gehört?«
Dem Kerl springen die Stachelbeeraugen aus dem Kopf. Hektisch klickt er mit seinem Kugelschreiber. »Ihnen sind also Gott und Jesus begegnet.«
»Das ist doch alles eins, junger Mann. Haben Sie wirklich noch nie im Leben eine Bibel aufgeschlagen? Ich glaube, wir lassen das besser. Von Gott kann man nicht reden, sondern nur schweigen, denn alles, was wir von Gott sagen, ist er nicht. Kennen Sie das? Meister Eckehart!«
Jetzt haben nicht nur die Augen des Kerls eine ungesunde Farbe, sondern das ganze Gesicht. Knallrot, muss am Blutdruck liegen.
»Frau Schick, Sie haben gerade selbst erzählt, sie seien Jesus begegnet …«
»Im Ge-be-het!«
»Aber sie sagten, er habe abstehende Ohren! Also haben Sie ihn doch auch gesehen , oder?«
»Solche Ohren kann keiner übersehen! Da hat der Madonnenschnitzer von Burguete furchtbar gepatzt. Man soll sich eben kein Bildnis von Gott machen, geht immer schief, steht ja schon in der Bibel. Aber ich finde, wir entfernen uns wieder gewaltig vom Thema Gespenster. Passiert Ihnen so was eigentlich
Weitere Kostenlose Bücher