Frederica - sTdH 6
Hand.
Sie war
sich der hochgewachsenen Gestalt, die am anderen Tisch saß, eindringlich
bewußt, obwohl sie sich nicht überwinden konnte, direkt hinüberzuschauen.
Die gesamte
Bedienung des Gasthauses erschien im Garten, deckte den Tisch für Seine
Gnaden, verbeugte sich vor Seiner Gnaden, bot Seiner Gnaden Wein an und
Köstlichkeiten jeder Art, die das Gasthaus vorrätig hatte.
»Mich hat
man nichts wählen lassen«, dachte Frederica, und der kalte Imbiß, der so
appetitanregend ausgesehen hatte, sah jetzt langweilig und fade aus.
Sie
beschloß, sich ein bißchen in den Vordergrund zu drängen, und sagte mit lauter
Stimme, wobei sie die Limonade wegschob: »Ich hätte gerne etwas Wein.
Kanarischen, wenn ich bitten darf.«
»In einer
Minute, Miß«, sagte Mrs. Gilpin.
»Ich möchte
meinen Wein jetzt auf der Stelle«, sagte Frederica und spürte, daß sie sich
wirklich sehr schlecht benahm. Gleichzeitig genoß sie aber dieses neue Gefühl.
Mrs. Gilpin
murmelte etwas vor sich hin und eilte weg. Gleich darauf stellte sie eine
Karaffe mit Kanarischem Wein und ein sauberes Glas vor Frederica hin. Mrs.
Gilpin goß ihr hastig ein und eilte dann wieder weg, um den wichtigeren Gast zu
bedienen.
Frederica
hatte den Herzog immer noch nicht angeschaut.
Sie saß mit
leicht abgewandtem Gesicht da, denn sie wollte nicht, daß der Herzog sie zu
deutlich sah, damit er sie später nicht wiedererkannte.
Schließlich
hatte der Herzog sein Essen, und Mr. und Mrs. Gilpin zogen sich mit der
Dienerschaft zurück.
Es trat
wieder Stille in dem hübschen Garten ein. Die Schatten der frischen Blätter
bewegten sich auf dem Gras, und eine Drossel brachte dem Frühling ihr
unablässiges Ständchen. Die warme Luft roch nach frisch gemähtem Gras,
Holzkohlenfeuer, Braten und Wein.
Frederica
hatte sich fest vorgenommen, jeden Annäherungsversuch des Herzogs im Keim zu
ersticken.
Aber er
versuchte gar nicht, mit ihr zu sprechen.
Je tiefer
der Wein in der Karaffe sank, desto selbstsicherer fühlte sich Frederica.
Sie spürte
einen gewissen Arger in sich aufsteigen, daß dieser Herzog sich nicht einmal
dazu herabgelassen hatte, ihr guten Tag zu sagen.
Sie drehte
sich um und sah ihm zum ersten Mal voll ins Gesicht.
Zweites
Kapitel
Es
herrschte tiefe
Stille, während sich das ungleiche Paar in Augenschein nahm.
Frederica
war der Ansicht, daß der Name ›Wüster Herzog‹ sehr gut zu ihm paßte.
Er hatte
dichtes schwarzes Haar, das er länger trug als es üblich war. Seine Augenbrauen
waren sehr dünn und schwarz und wölbten sich über pechschwarzen Augen mit
geschwungenen Lidern. Sein Gesicht war sehr weiß, mit einer hervorstehenden
Nase, und sein Mund wirkte entschlossen und grausam.
Er war
überdurchschnittlich groß und hatte breite Schultern. Sein blauer Cutaway
hatte einen schwarzen Samtkragen, und seine lange Weste war ebenso schwarz wie
seine Kniehose und seine Stulpenstiefel. Seine Finger waren lang und weiß, und
auf dem Mittelfinger seiner linken Hand loderte ein großer Rubinring.
Aber es war
nicht allein seine äußere Erscheinung, die einen so satanischen Eindruck
machte. Es war eine gewisse Grausamkeit und Arroganz, die von ihm auszugehen
schien.
Der Herzog
sah ein farbloses Schulmädchen in einem sehr modischen Kleid mit Pelerine. Er
bemerkte, daß sie sich eine Meinung über ihn bildete, und dann sah er, daß sich
ihr hellroter Mund zu einem fast unmerklichen, abschätzigen Lächeln verzog.
»Um ehrlich
zu sein, Miß Wie-Sie-auch-immer-heißen-mögen«, sagte er, »ich hoffe wirklich,
daß Ihre Neugierde jetzt befriedigt ist, denn mir ist gar nicht danach,
angestarrt zu werden wie so ein Ungeheuer mit zwei Köpfen auf dem
Bartholomäus-Markt.
»Entschuldigen
Sie bitte, Sir«, sagte Frederica und wandte sich schnell ab.
Sie wußte,
daß es sehr unhöflich war, ihn so plump anzustarren, aber sie hatte wirklich
noch nie einen Menschen wie ihn gesehen. Ihre Schwäger waren durchweg
imponierende Männer, aber keiner von ihnen wirkte so teuflisch wie der Herzog.
Sie nahm
Messer und Gabel wieder zur Hand und war entschlossen, ihr Mahl so schnell wie
möglich zu beenden und dann zu verschwinden.
Aber in
diesem Moment traten Mrs. Gilpin und zwei Kellner, die das Essen des Herzogs
trugen, in den Garten.
Dieses eine
Mal war Frederica heilfroh um ihr unscheinbares Aussehen. Der Herzog würde sie
nicht wiedererkennen, wenn er sie in seinem Haushalt als Dienerin sah.
Im Garten
herrschte wieder Stille. Sie seufzte leise
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