Frederica - sTdH 6
lehnte sich hinaus – und bekam die nächste Ladung
Steine voll ins Gesicht.
»Wer ist
da?« schrie sie.
»Pscht! Ich bin es, Guy Wentwater.«
Emily ging
ins Zimmer zurück, holte eine Kerze und lehnte sich wieder hinaus. Sie konnte
im Dunkeln ein weißes Gesicht ausmachen, das nach oben gerichtet war.
»Was wollen
Sie?« fragte sie.
»Ich muß
dich unbedingt sehen, mein kleiner Liebling«, bat er.
Emily warf
den Kopf zurück. »Sie sind mir so einer, kommen einfach hierher, nach dem was
Sie mit dieser ...«
»Schhh!«
machte er verzweifelt. »Bitte, Emily. Ich muß dich sehen. Ich darf mich
nicht erwischen lassen. Komm zu der Brücke über den Blyne. Ich liebe dich,
Emily.«
Emily
spürte ein ungeheures Machtgefühl in sich aufsteigen. »Einverstanden«, rief
sie und machte mit einer entschlossenen Handbewegung das Fenster zu.
Ihr Herz
klopfte heftig vor Erregung. Sie war eine männermordende Circe. Sie war
Cleopatra! Sie würde sich mit ihm treffen und ihn verführen, aber nur ein
bißchen, und dann würde sie ihm den Laufpaß geben. Und das würde ihm
recht geschehen, diesem Speichellecker.
Guy
Wentwater plante, Emily zu überreden, mit ihm wegzulaufen. Er hatte nicht mehr
die Absicht, sie zu heiraten. Er wollte sie mit nach Amerika nehmen und dort
loswerden.
Nach kurzer
Zeit sah er sie in einen langen Umhang gehüllt auf sich zueilen.
»Was für
eine langnasige alte Schachtel sie ist«, dachte er boshaft, als das Mondlicht
auf Emilys Gesicht fiel.
»Sie sind
ein ganz Schlimmer«, sagte Emily und kicherte vor Aufregung, »und verdienen es,
bestraft zu werden.«
»Ich bin
schon genug bestraft«, sagte er leise. »Setz dich hier neben mich aufs Geländer
und laß meine Augen sich an deiner Schönheit weiden.«
Emily
setzte sich neben ihn. »Was wollen Sie?« fragte sie und warf dabei die Kapuze
ihres Umhangs zurück, damit er die volle Wirkung des Mondlichts auf ihren
Korken zieherlocken genießen konnte.
»Zunächst
muß ich dich um Verzeihung bitten. Dieses Mädchen, Sarah, hat mich betrunken
gemacht und sich mir an den Hals geworfen.«
»Ich will
nicht darüber sprechen«, sagte Emily und wandte den Kopf ab.
»Schau mich
an, Liebste«, sagte er. »Laß mich deine Schönheit sehen. «
Wieder
wurde Emily von diesem berauschenden Machtgefühl überwältigt. Sie hatte ihr
neues metallisch glänzendes Gazekleid anbehalten und sie hatte den Eindruck,
daß sie das Schicksal der Männer wie eine Göttin in der Hand hielt. Sie
beschloß, ihn dadurch zu strafen, daß sie mit ihm kokettierte und ihn vor
Leidenschaft zum Wahnsinn trieb.
Sie
kicherte. »Ich glaube kein Wort von dem, was Sie sagen, Mr. Wentwater«, sagte
sie kokett und gab ihm mit dem Ellbogen einen neckischen Stoß in die Rippen.
Aber Emily war in so ausgelassener Stimmung, daß der Stoß eher einem kräftigen
Schubs glich. Guy Wentwater griff in panischer Angst nach dem Geländer, um
sich zu retten, aber er war bereits aus dem Gleichgewicht gekommen und stürzte
mit einem überraschten Schrei rückwärts in den Fluß.
Man hörte
einen dumpfen Schlag und das Aufspritzen des Wassers, und dann trat eine lange
Stille ein, während der nur das Geräusch des unter der Brücke dahinströmenden
Wassers zu hören war.
»Mr.
Wentwater!« rief Emily und lehnte sich über das Geländer. »Oh, Mr.
Wentwater!«
Ein
hochstehender weißer Mond beschien Guy Wentwaters nach oben gekehrtes Gesicht.
Sein Kopf lehnte seltsam verdreht an einem großen Felsen und das silbrig
sprudelnde, reißende Wasser strömte über den Rest seines Körpers.
Emily trat
erschrocken vom Geländer zurück. »Ich habe ihn nie gesehen«, sagte sie
entschlossen vor sich hin, als sie nach Hause ging. »Ich bin ihm niemals
begegnet. Ich habe nie das Haus verlassen.« Weil sie sich diese Worte immer
wieder vorsagte, glaubte sie bald selbst daran, daß sie wahr waren, und
als am nächsten Tag die Nachricht von Guy Wentwaters Tod bekannt wurde, war sie
in der Lage, sie mit Fassung aufzunehmen. Sie hoffte nur, daß ihr Papa dadurch,
nicht von seinem Vorhaben abgebracht wurde, sie nach Hopeminster zu bringen, wo
sie ihren neuen Verehrer treffen wollte.
Zwei Wochen später war der kleine Salon
im Pfarrhaus brechend voll. Darin versammelt waren die sechs Armitage-Schwestern,
die Zwillingsbrüder, fünf Ehemänner, ein Verlobter, der Pfarrer, Lady Godolphin
und der Squire.
Die
Schwestern erweckten mit Lachen und Reden das Pfarrhaus wieder einmal zu
heiterem Leben. Alle Zimmer waren
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