Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fremde

Fremde

Titel: Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gardner R. Dozois
Vom Netzwerk:
hatte, rätselhaft und in obskure Allegorien gehüllt gewesen, und nichts davon hatte Farber auf die Totalität des Wechsels vorbereitet.
    Nach dem Gesetz war Liraun nun für den Verlauf ihrer Schwangerschaft Haushaltsvorstand geworden, repräsentierte ihn gegenüber der cianischen Gesellschaft und hatte rechtmäßigen Anspruch auf Besitz und Güter. Das bedeutete nicht, daß nun Farber zum Leibeigenen degradiert worden war; sein Status war nicht verringert worden – nur war Lirauns Status ungeheuer gestiegen. Theoretisch besaß nun Liraun über Farber einige Autorität, doch in der Praxis ließ man Mann und Frau diese Probleme selbst regeln, und die meisten gelangten zu einem erträglichen Kompromiß. Aber solange Farber mit Liraun verheiratet war und solange Liraun eine Mutter von Shasine war, waren keine seiner Handlungen für den Haushalt bindend. Sie besaßen keinerlei Rechtmäßigkeit. Er durfte weder Verträge abschließen, die den gesamten Haushalt betrafen, noch einen Teil des Eigentums veräußern oder vergeben, noch ein Haus ohne Lirauns Zustimmung mieten – ebenso wie es Liraun vor der Schwangerschaft verboten gewesen war, diese Dinge zu tun. Eigentlich ging es Farber immer noch besser, als es Liraun gegangen war. Vor ihrer Erhöhung hatte sie absolut keine Rechte gehabt, wurde als unterlegen und unter Farbers Herrschaft stehend betrachtet. Farber zumindest behielt seine Rechte als erwachsener Bürger, wenn auch von ihm erwartet wurde, daß er sich in kommunalen Angelegenheiten Lirauns Urteil beugte, weil sie ja nun ein höheres Wesen war: »Eine-die-in-Harmonie-eingegangen-ist.«
    Das war bestürzend.
    Auch war es Liraun nicht mehr erlaubt, für den Lebensunterhalt zu arbeiten. Als Mutter von Shasine gehörte sie zum Rat, der zusammen mit der Loge der Älteren Shasine regierte. Eine der ersten Dinge, die man von ihr verlangte, war die Kündigung. Sie mußte dem Rat zu jeder Stunde, ob Tag oder Nacht, zur Verfügung stehen und durfte keine andere Pflicht haben, die mit diesem einzigen, alles überragenden Zweck in Konflikt geraten könnte. Man erwartete daher von ihrem Mann, daß er sie unterhielt, und es drohten harte Strafen, wenn er dies nicht tat. Und Farbers regelmäßiges Stipendium von der terranischen Co-Operative reichte nicht für sie beide, selbst wenn man den kleinen Betrag noch hinzurechnete, den er von Ferri als »Forschungsassistent« bekam.
    Das war beunruhigend.
    Farber stellte sich, überraschend auch für ihn, dieser Herausforderung. Er kam von der Flasche ab und nahm keine Pillen mehr. Er riß sich mit einem fast hörbaren Klicken zusammen. Und ging hinaus, um sich einen Job zu suchen.
    Es war unten bei den Docks, eine körperliche Tätigkeit: Entladen von Eisschiffen.
    Die Kalten Wesen schienen bleiben zu wollen – die Fruchtbare Erde war mit Eis verschlossen und in Schnee und Stille gehüllt. In den Nächten brannte der Wintermann am Himmel. Seine ganze schreckliche Größe konnte man nun über dem Horizont sehen. Der Aome war schließlich zugefroren. Jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit – alles kalt und still wie der Tod, ein rosa Hauch begann gerade, die Nachtschwärze aufzulösen, der letzte der winzigen Monde rollte herab zum Horizont wie eine kleine Marmorkugel – konnte Farber den Fluß als eine stumpfe, metallische lange Linie sehen, eine geschweißte Naht, die die unsichtbare Welt zusammenhielt. Wenn ihn die Zahnradbahn von der Altstadt hinabgebracht hatte, konnten seine Blicke das zunehmende blaue Zwielicht durchdringen, und er sah das erste der breiten schwarzen Eisboote aus dem Westen herannahen, auf vier langen Beinen wie ein Wasserkäfer auf einem terranischen Fluß, nur mechanisch und riesig. Wenn der Aome zufror, dann tat er es bis zum Grund hinab und blieb so bis zum Frühlingstauwetter. Währenddessen spielte sich der Schiffahrtsverkehr auf dem Eis ab. Dieses Eis war so hart wie Stein und an vielen Stellen spiegelglatt, außer dort, wo der Wind die Oberfläche mit Schnee bestäubt hatte. Man konnte sich keine bessere Straße vorstellen. Der Aome umrundete den Fuß der Neustadt von Aei ungefähr zwanzig Meilen lang, und jede Meile davon war mit einem Dock bestückt, und jedes Dock auf jeder Meile summte vor Handel, ob im tiefen Winter oder im Sommer.
    Mitte des Vormittags, wenn die Sonne für diese Jahreszeit am höchsten stand, sah das Eis grüngrau anstatt blau aus, wie in der Morgendämmerung, und auf der Oberfläche zeichneten sich verwickelte Hieroglyphen

Weitere Kostenlose Bücher