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Fremde

Fremde

Titel: Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gardner R. Dozois
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schrille Yip-yip-yip der Meute hörten und mit hohlem Eisengeklapper über die groben Steinbrücken trabten, die die höheren Landstreifen miteinander verbanden, umgeben von grünlichem Eis, Schnee und endlosen Meilen schlanken, winterkahlen Schilfes, und nur auf riesige Herden silberschuppiger Eidechsen stießen, die bei ihrem Näherkommen donnernd in den Himmel aufstiegen, um dort hartnäckig zu kreisen und zu schluchzen, bis die Eindringlinge wieder außer Sichtweite waren. Manchmal zogen sie auch ohne die Meute los und drangen tief in das Sumpfgebiet ein, um Jäger und Pilzesammler zu meiden, und Liraun ging dann schwimmen – es war immer noch eiskalt, aber gelegentlich zog Liraun die Kleider aus, schlug ein Loch in das milchige Eis, welches hier über dem brackigen Salzwasser dünner war, und stieß wie ein Eisbre cher durch die flachen Teiche, verschwand in Schilftunneln über den Gezeitenkanälen und kam auf der anderen Seite voller Harsch wieder zum Vorschein, spritzte und schrie und machte ein entsetzliches Theater, scheuchte Dutzende von winzigen, otterähnlichen Wesen in Panik vor sich her, lachte, als Eidechsen und Rotfinnen hysterisch aufflogen. Farber hielt die Tiere und beobachtete sie, lachte liebevoll, amüsiert, nachdenklich mit. Sein Atem bildete in der kalten Luft Wölkchen und kondensierte zu Frost auf seinen Lippen. Wenn sie wieder auftauchte, schüttelte sie sich das Wasser vom Körper wie ein Hund und nahm ein rauhes Tuch, um die Eisstücke abzustreifen, die sich auf der Haut gebildet hatten.
    Manchmal liebten sie sich dann auf einem Bett aus knisterndem Schilf, das sie über den gefrorenen Boden streuten. Liraun war immer belustigt, wenn Farber sich nicht ausziehen wollte. Manchmal sahen sie auf dem Rückweg nach Aei einen der Sumpfbewohner, die entfernte Verwandte der Cian waren: knochige, zwergenhafte Menschen mit knochenweißer Haut in zerlumptem Fell und kunstvoll gearbeiteten Schnee-Eisen. Das Haar war zu zwei enormen bienenkorbartigen Hügeln aufgetürmt und lackiert, das Gesicht war blau und orange bemalt, eine Reihe von gerade erbeuteten Schnäppern oder Rotfinnen hingen mit dem Kopf nach unten vom Lederband über die Schulter. Die Augen waren hell und scharf, wie aus schwarzem vulkanischem Glas. Ruhig und ernst und mit großer Würde beobachtete sie der Sumpfmensch, wenn sie vorbeiritten. Dann hob er die Faust zu einer Begrüßung – nicht schmeichelnd oder ehrerbietig, sondern eine ungebeugte, aber respektvolle Anerkennung ihrer Gegenwart. Die Sumpfmenschen hielten die Cian für Geister. Wofür sie Farber hielten, kann niemand sagen. Für den Geist eines Geistes vielleicht.

12
     
    Wochen vergingen, und Shasine versank immer mehr im Winter. In den Straßen türmte sich der Schnee, und bei schlimmen Blizzards wagte man sich manchmal für eine halbe Woche nicht aus dem Haus – dann wirkte die Stadt verlassen und einsam, nur die gelben und orangenen Fenster verrieten Zeichen von Leben. Farber besorgte sich über Ferri aus dem Co-Op-Laden eine arktische Skimaske. Er trug sie beim Arbeiten, und die Cian starrten ihn offen auf der Straße an. Seine Kollegen bei den Docks waren entzückt. Sie begannen ihn freundschaftlich »Ohnegesicht« zu nennen. Farber war das egal. Ohne die Maske wäre ihm die Nase sicher abgefroren, und die eingenähten Schneegläser halfen ihm, die Grelle von Feuerfrau zu ertragen, die von den Schneefeldern reflektiert wurde. Seine Kollegen trugen zum gleichen Zweck Kontaktlinsen aus einer durchsichtigen, flechtenartigen Substanz, doch die Linsen waren »lebendig« in dem Sinne, daß man sie ab und zu in Nährflüssigkeit betten und alle paar Wochen wieder zurechtschneiden mußte, und der Gedanke, so etwas auf dem nackten Augapfel zu haben, verursachte Farber ein unangenehmes Gefühl. Nein, er würde bei seiner Maske bleiben und die gutmütigen Scherze seiner Kollegen ertragen. So »eingeboren« war er nun doch noch nicht.
    Schließlich war es so kalt geworden, daß auch Liraun es zugegebenermaßen als unangenehm empfand. Sie bekamen eine gestaltlose, vierfüßige Kugel, die man in einer Ecke des unteren Raumes aufstellte. Sie strahlte Hitze sowie ein rauchiges goldenes Licht aus, ohne eine für Farber erkennbare Energiequelle zu besitzen. Offensichtlich war sie unerschöpflich. Hier war doch mal ein ordentliches Handelsobjekt für Keane! Sicher war dieses Gerät geradezu übernatürlich effektiv. Zu effektiv für Liraun – manchmal wurde ihr der Raum zu heiß,

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