Frühe Erzählungen 1893-1912
haßte und der er sich nicht gewachsen fühlte …
Dann saßen sie nieder, und Hunding stellte sich vor, erklärte einfach und mit zwei Worten seine einfache, ordnungsgemäße und in der allgemeinen Achtung ruhende Existenz. Er zwang aber Siegmund so, sich ebenfalls bekannt zu geben, was ungleich schwieriger war. Doch Siegmund sang – sang hell und wunderschön von seinem Leben und Leiden und wie zu Zwei er zur Welt gekommen, eine Zwillingsschwester und er … legte sich, nach der Art von Leuten, die ein wenig vorsichtig sein müssen, einen falschen Namen bei und kündete ausgezeichnet von dem Haß, der Scheelsucht, womit man seinen fremdartigen Vater und ihn verfolgt, von dem Brand ihres Saales, dem Entschwinden der Schwester, von dem vogelfreien, gehetzten, verrufenen Dasein des Alten und Jungen im Walde und wie er zuletzt auch des Vaters geheimnisvollerweise verlustig geworden sei … Und dann sang Siegmund das Schmerzlichste: seinen Drang zu den Menschen, seine Sehnsucht und seine unendliche Einsamkeit. Um Männer und Frauen, sang er, um Freundschaft und Liebe habe er geworben und sei doch immer zurückgestoßen worden. Ein Fluch habe auf ihm gelegen, das Brandmal seiner seltsamen Herkunft ihn immer gezeichnet. Seine Sprache sei nicht die der anderen gewesen und ihre nicht seine. Was ihm gut geschienen, habe die Mehrzahl gereizt, was jenen in alten Ehren gestanden, habe ihm Galle gemacht. In Streit und Empörung habe er gelegen, immer und überall, Verachtung und Haß und Schmähung sei ihm im Nacken gewesen, weil er von fremder, von hoffnungslos anderer Art, als die andern …
Es war so überaus kennzeichnend für Hunding, wie er sich zu all dem verhielt. Nichts von Teilnahme und nichts von {452} Verstehen sprach aus dem, was er antwortete: nur Widerwillen und finsteres Mißtrauen gegen Siegmunds fragwürdige, abenteuerliche und unregelmäßige Art von Dasein. Und als er nun gar begriff, daß er den Geächteten, zu dessen Verfolgung er aufgerufen und ausgezogen war, im eignen Hause habe, da benahm er sich ganz, wie man es von seiner vierschrötigen Pedanterie zu gewärtigen hatte. Mit jener Gesittung, die ihn fürchterlich kleidete, erklärte er wieder, daß sein Haus heilig sei und den Flüchtling für heute schütze, daß er aber morgen die Ehre haben werde, Siegmund im Kampfe zu fällen. Hierauf bedeutete er Sieglinden rauh, ihm drinnen den Nachttrunk zu würzen und im Bette auf ihn zu warten, stieß noch zwei oder drei Drohungen aus und ging dann fort, indem er alle seine Waffen mit sich nahm und Siegmund in der verzweifeltsten Lage allein ließ.
Siegmund aus seinem Fauteuil über die Samtbrüstung gebeugt, stützte den dunklen Knabenkopf in die schmale und rote Hand. Seine Brauen bildeten zwei schwarze Falten, und der eine seiner Füße, nur auf dem Absatz des Lackstiefels stehend, war in einer fortwährenden nervösen, rastlos drehenden und nickenden Bewegung. Er tat dem Einhalt, als er neben sich ein Flüstern hörte: »Gigi …«
Und wie er den Kopf wandte, hatte sein Mund einen frechen Zug.
Sieglind bot ihm eine perlmutterne Dose mit Kognak-Kirschen dar.
»Die Marasquino-Bohnen liegen unten«, flüsterte sie. Aber er nahm nur eine Kirsche, und während er die Hülse aus Seidenpapier löste, beugte sie sich nochmals zu seinem Ohr und sagte:
»Sie kommt gleich wieder zurück zu ihm.«
»Das ist mir nicht vollständig unbekannt«, sagte er so laut, daß mehrere Köpfe sich gehässig gegen sie kehrten … Der {453} große Siegmund sang unten für sich allein im Dunkeln. Aus tiefster Brust rief er nach dem Schwert, der blanken Handhabe, die er schwingen könnte, wenn eines Tages in hellem Aufruhr hervorbräche, was jetzt sein Herz noch zornig verschlossen hielt; sein Haß und seine Sehnsucht … Er sah den Schwertgriff am Baume leuchten, sah Glanz und Herdfeuer verlöschen, sank zurück zu verzweifeltem Schlummer – und stützte sich köstlich entsetzt auf die Hände, da Sieglind im Dunkeln zu ihm schlich.
Hunding schlief wie ein Stein, betäubt, betrunken gemacht. Sie freuten sich miteinander, daß der schwere Dummkopf überlistet war, – und ihre Augen hatten dieselbe Art, sich lächelnd zu verkleinern … Aber dann sah Sieglind verstohlen den Kapellmeister an und erhielt ihren Einsatz, stellte formend die Lippen ein und sang ausführlich, wie alles stand und lag, – sang herzzerreißend, wie man die Einsame, fremd und wild Erwachsene ungefragt dem finstern und plumpen Manne
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