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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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mich nicht bemerkte. Männer mit Schraubenschlüssel störte man besser nicht.
    Ich nahm eine Matte vom Stapel, warf mich neben Weber in die Waagrechte und begann bei eins. Als er bei mutmaßlichen fünfzig aufhörte, hatte ich immerhin meine zwanzig Liegestützen absolviert. Er setzte sich auf, zog die Beine an, legte die Hände an die Ohren und begann mit Bauchaufzügen. Horst hätte seine Freude daran gehabt. Weber fing fachgerecht aus dem Sitzen an und hielt die Beine angewinkelt. So blieben die Beinanzieher in Ruhe, nur die geraden Bauchmuskeln kochten. Nach einer Weile ging er überdies nur noch ein Stück hoch. So bekam man den Waschbrettbauch am besten hin. Ich hielt mit.
    Als er sich auf den Bauch drehte, streifte mich zum ersten Mal sein Blick: milchkaffeefarbene Augen mit grünen Einsprengseln. Sehr dichtes braunes Haar. Seine fünfzig Jahre sah man ihm nicht an. Doch eines war ihm trotz jahrelangen Trainings nicht gelungen: sich die begehrte V-Form zuzulegen. Webers Hüften waren einen Tick zu breit. Vermutlich litt er tiefste Seelenqualen deswegen, aber mir gefiel es.
    Und damit zur Folter des Rückens, bis sich Krämpfe im Gesäß ankündigten. Weber konnte es sich leisten, die Rückgratstränge zu stärken, denn seine Bauchmuskeln konnten gegenhalten. Beim Durchschnittsbürohengst war normaler weise der Lendenbereich bockelhart und die Bauchdecke wat te weich. Die vom Sitzen gestärkten Beinanzieher taten ein Üb riges, ihm eine gorillaähnliche Hohlkreuzhaltung zu verleihen. Wer Rückgrat zeigen wollte, musste immer zuerst den Bauch stärken.
    Nach einer halben Stunde Zweikampf in der intimen Ecke unseres Keuchens, absorbiert vom Ringen mit schmerzenden Muskeln, riskierte der Mann den zweiten Blick. Er hatte et was kriminell Asymmetrisches.
    Ich zwinkerte ihm zu.
    Er schaute weg, wenn auch keineswegs eilig. Als Balinger Pietist, Schwabe und Staatsanwalt in leitender Stellung war er gegen meinen Leichtsinn immunisiert durch Langsamkeit, Eigensinn und Fleiß.
    »Ach, hier sind Sie, Frau Nerz!« Gertruds Turnlehrerin nenstimme riss mich aus der stummen Konversation mit dem Oberstaatsanwalt.
    »Hätten Sie wohl einen Moment Zeit? Herr Fängele hätte Sie gerne mal gesprochen. Ganz kurz.«
    Webers Blick fluppte von ihr zu mir zu ihr und endete wie meiner auf Gertruds Pobacken, die stramm wippten.

6
     
    Der Elefant reichte mir eine knochenlose Pranke über den Schreibtisch. Er betonte seine Massen mit einem hellgrauen Anzug. »Darf ich Ihnen was anbieten, Frau Nerz? Kaffee, Cola? Oder bevorzugen Sie ein Elektrolytgetränk? Ich für meinen Teil halte es mehr mit Winston Churchill: Clubsessel, Zigarre und no sports.«
    »Dann sind Sie ja die ideale Besetzung für ein Fitnesscenter«, bemerkte ich.
    Fängele lachte gutmütig. Seine Linien veränderten sich schnell, nicht nur im Gesicht, sondern auch in seinem Doppelkinn und Anzug. Ein faszinierendes Faltenspiel. Und er schwitzte gehörig. Das kleine Büro war aber auch ziemlich überheizt. Dicke froren an sich leicht, weil Fettschichten schlecht durchblutet waren. Aber auch ich hätte gefroren, denn in meinen Textilien erkaltete der Schweiß vom Wettkampf mit Weber.
    Das Bürofenster war vergittert.
    »Mir reicht es vollauf, wenn ich den Telefonhörer halten kann«, erläuterte Fängele. »Dabei kommt man wenigstens nicht außer Atem.« Er knetete sich Dellen in die Wangen. »Frau Nerz, warum ich Sie zu mir gebeten habe …« Seine Linien flackerten in die Senkrechte. »Sie sind Journalistin.«
    »Nicht der Rede wert.«
    »Für welche Zeitung, wenn ich fragen darf?«
    »Für den Stuttgarter Anzeiger .«
    »Wir freuen uns natürlich immer über das Interesse der Presse.«
    »Keine Sorge, ich bin privat hier.«
    »Oh, ich mache mir da keine Sorgen.«
    »Aber«, piekste ich, »ich weiß natürlich von dem plötzli chen Todesfall hier im Haus.«
    Fängeles Linien bekamen Häkchen. »Tragisch, wirklich tragisch. Allgemeines Organversagen, sagen die Ärzte. Diese Hungerei kann ja auch nicht gesund sein. Leider kommt das vor in der Branche. Und nicht nur in dieser. Sie verstehen?«
    Ich nickte.
    »Am Montag vor einer Woche brach Anette vor dem Training zusammen. Am Mittwoch starb sie im Krankenhaus. Sie hatte buchstäblich kein Gramm Fettgewebe mehr. Das Gehirn war auch schon angegriffen, sagen die Ärzte. Und das Herz. Wissen Sie, das Herz besteht ja fast nur aus Cholesterin. Ich dürfte Ihnen diese medizinischen Details gar nicht mitteilen, aber ihr von der

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