Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
Überdosis Clenbuterol«, schlug ich vor. »Als Sprechstundenhilfe solltest du wissen, dass ein winziger Fehler in der linken Herzklappe reicht, um jemanden aus den Sportschuhen zu hauen. Das trifft hin und wieder auch junge Fußballer.«
    »Aber Anette hat nichts genommen. Dafür leg ich meine Hand ins Feuer.«
    Ich roch verbranntes Fleisch. »Auch keine Appetitzügler?«
    Sally lachte unfroh. »So wie die reingehauen hat! Anette gehörte zu den Leuten, die essen können, was sie wollen, und dabei noch abnehmen.«
    »Und was nimmst du derzeit, Sally?«, fragte ich bei dieser Gelegenheit mal wieder mahnend. »Nimmst du schon Muskelaufbaupräparate oder immer noch Schlankmacher? Dreieinhalb Kilo in drei Tagen. Pass nur auf! Damit kannst du dich in einem Monat vollständig weghungern.«
    Sally zapfte eine Weile stumm. Der Schaum schwoll über den Glasrand hinaus. »Ich glaube, Anette hatte was mit dem Fritz Schiller. Der ist der sportliche Leiter vom Schlachthof. Und dem Schiller seine Frau schafft auch dort, als Judo-Lehrerin.«
    »Katrin Schiller? Die?«
    »Kennst du sie?«
    »Nicht persönlich. Aber die Jungs und Mädels, die sie trainiert, siegen überall auf Landesebene. Sie hat Ende der Achtziger die Deutsche Meisterschaft gewonnen, vom Judobund den sechsten Dan verliehen bekommen und war dann ein paar Jahre lang Bundestrainerin. Bis die Intriganten im Verein wieder Oberwasser bekamen.« Ich hatte vor einigen Jahren mit Judo angefangen, um nach meinem Unfall meine lahmen Beine wieder in Gang zu bringen, mich aber nie in die Siegerschmiede Katrin Schillers getraut. »Hatte sie nicht immer ihre eigene Sportschule?«
    Sally zuckte mit den Achseln. »Im Schlachthof haben die Kampfsportler ein ganzes Stockwerk für sich. Schau es dir doch mal an. Wie wär’s? Ein Probetraining koscht ja nix.«
    »Hm.«
    »Oder hast du Schiss?« Sally zog, um mir drei Minuten zur Besinnung zu geben, mit einem neuen Tablett zu einer neuen Runde ins Lokal ab, in dem sich abends im Bohnenviertel die Kulturelite von Stuttgart versammelte.
    Immerhin schuldete ich Sally noch was. Genauer: mein Leben. Sie hatte es mir als Zimmergenossin im Krankenhaus gerettet, als ich nach meinem Unfall auf ein Medikament allergisch reagierte und abzugehen drohte. Seitdem betrachtete sie mich als Teil ihrer Menagerie kranker oder altersschwa cher Tiere.
    »Und was genau soll ich im Schlachthof für dich tun?«, erkundigte ich mich.
    Sally machte blaue Augen. »Aber, Lisa, es hat eine Tote gegeben. Da kann man doch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Einen Tag später hatten sie eine neue Aerobicleh rerin eingestellt, eine von diesen strammen Fitnesshexen, bei denen man die ganze Dreiviertelstunde lang springen muss.«
    »Und das ist dir zu anstrengend?« Ich lachte schadenfroh.
    »Das ist überhaupt nicht komisch!«, keifte Sally und fuchtelte mit einem Lappen um mein Bierglas auf dem Tresen herum. »Schließlich musste ich für ein halbes Jahr zahlen, egal, ob ich hingehe oder nicht.«
    »Und jetzt soll ich die Leute bedrohen, damit sie dich aus deinem Vertrag entlassen? Oder worum geht es dir genau?«
    »Blöde Kuh!«
    Ich feixte. »Also gut, ich gehe da mal hin. Okay?«

2
     
    Der alte Schlachthof lag im Industrieensemble von Neckarha fen, Gaskessel und Wohnburgen. In der damaligen Wirt schaftsbrache stand gerade mal noch das ausrangierte Gebäu de der Kopfschlachter. Es enthielt auf drei Etagen Fitness. Die Eröffnung, ein halbes Jahr zuvor, hatten wir im Stuttgarter Anzeiger gebührend gewürdigt.
    Die Blonde an der Rezeption war über vierzig und wog un ter vierzig. Mit strengen blauen Augen taxierte sie mein unkultiviertes Gesicht und Gewicht und errechnete aus beidem meine Finanzkraft. Das Ergebnis hatte ein negatives Vorzeichen. Aber da täuschten sich die Menschen in mir gern. Mit meiner Narbe im Gesicht passte ich halt nicht in dieses Institut für schöne Menschen.
    »Zum Probetraining?«, erkundigte sie sich. »Das kostet zwanzig Mark.«
    Ich rümpfte die Nase. Wo gab es denn so was? Fürs Probetraining auch noch zahlen? Beim Zücken eines Zwanzigers verstreute ich hochnäsig mehrere Hundertmarkscheine über die Theke. Das war damals die gültige Währung. Die Dame fing die Scheine im Flug und schenkte mir ein Lächeln. »Fül len Sie das bitte aus, nur wegen der Versicherung.«
    Ich hatte den Kuli kaum angesetzt, da rammte mir einer, der hinter mir vorbei an die Theke drängte, die Sporttasche ins Kreuz. Das Gerät gehörte zu einem

Weitere Kostenlose Bücher