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Gaisburger Schlachthof

Gaisburger Schlachthof

Titel: Gaisburger Schlachthof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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sich aus, beispielsweise, um ihn zu werfen. Vor über hundert Jahren entwickelte der Japaner Kano aus dem Jiu-Jitsu, das Knochenbrecher kennt, den sanften Weg für den Wettkampf, bei dem es am Ende keine Toten geben sollte. Für mich war Judo die unterhaltsamste Art von Krafttraining und die zivilste Art, Kampfgeist zu wecken und zugleich in kultivierte Bahnen zu lenken. Beides hatte ich nach meinem Unfall dringend nötig gehabt.
    Zum Aufwärmen taugte alles, was Ausdauer, Beweglichkeit, Reaktionsvermögen und Kraft schulte, von Liegestützen bis zu Ballspielen. Dann übten wir Seoi-nage, einen Wurf, der zur Grundausstattung des Gelbgurts gehörte. Man fasste den Gegner frontal an Kragen und Ärmel, drehte sich mit dem Rücken vor seinen Bauch ein, nahm ihn Huckepack und schwuppte ihn über die eigene Schulter auf die Matte, wo er ausgestreckt halb auf der Seite liegen blieb. Es knallte immer, wenn im Judo einer fiel. Denn man schlug dabei mit der flachen Hand auf die Matte. Die abschlagende Hand fing immerhin dreißig Prozent des Aufpralls ab. Den Rest absorbierte die totale Körperspannung.
    Nach einer halben Stunde erlaubte ich mir die Hoffnung, dass man mir die Initiation ersparen würde. Katrin Schiller schien es nicht darauf anzulegen, einen Neuling auseinanderzunehmen. Selbstverständlich machte ich alles verkehrt, den Griff, den Eingang, den Wurf. Aber das war zu ertragen. Der lächelnde Schwarzgurt, den Katrin Wolf nannte, warf mich so schnell, so perfekt, dass ich lag, ehe ich wusste, dass ich nicht mehr stand. Auch das war okay. Aber dass Katrin mich zum Randori, dem Übungskampf, am Boden mit der Kompakten mit dem Gelbgurt paarte, war die Tücke, auf die ich nicht gefasst war.
    Sie kniete vor mir wie ein Mehlsack. Während die anderen Paare sich bereits am Boden kugelten und um Oberlage, Armhebel und Würgegriff rauften, besichtigte sie lustlos einen blauen Fleck am Arm. Ehe sie reagieren konnte, hatte ich sie beidseitig am Kragen gepackt, trat ihr das Knie weg, ließ mich rückwärts fallen, zog sie dabei auf mich und drehte ihr die Fingerknöchel in die Halsschlagadern. Sie klopfte ab, ehe der Würger kam. Ich musste den Regeln gemäß loslassen. »Dein Vergewaltiger wird’s dir danken.«
    Augenblicklich hatte ich ihre Faust im Gesicht, zwar regelwidrig, aber durchschlagend. Sie hechtete sich auf mich. Der Haltegriff eines Gelbgurts war auch für einen Braungurt nicht selten das Ende. Auf einmal wurde es ernst.
    »Vicky, halt durch!«, schrie Katrin, herankommend. »Dreißig Sekunden. Stell dir vor, sie will deinen Kindern was tun!«
    Das Gewicht auf meinem Brustkorb verdreifachte sich. Mein Schlüsselbein knirschte im Klammergriff, aus dem ich mit keiner der erlernten Befreiungstechniken herauskam, sosehr ich auch zappelte. Vicky hasste, ich keuchte. Nie werde ich die rote Stoppuhr über mir vergessen, welche die dreißig Sekunden abtickte, die eine regelrechte Niederlage dauerte. Die andern grinsten. Ich rang um den aufrechten Gang. Am meisten wurmte mich, dass Katrin mich durchschaut hatte: viel Kraftmeierei und nichts dahinter. Sie hatte nicht einmal einen Blaugurt auf mich ansetzen müssen.
    Die Deos, die sich die Girls vom Karatekurs hinterher in der Umkleide unter die Achseln sprühten, trieben mich ungekämmt hinaus. Katrin stand lächelnd und kühl hinter ihrer Theke. Aber ihr Lächeln galt natürlich nicht mir, sondern dem Führungsflegel, Dr. Weber, der in seinem kecken Trägershirt und mit gekämmten Haaren die Art von Konversation pflegte, die Eindruck auf Katrin machte. Die beiden passten gut zusammen, beide hübsch, glatt, kühl und kultiviert.
    Ich ging abschiedslos und entschlossen, Katrin Schillers Dojo nie wieder zu betreten.
    Im Stockwerk darunter ordnete Fritz Schiller die Fausthanteln der Größe nach auf dem Ständer vor dem Spiegel. Pure männliche Kraft. Er schaute in die Ecken, als gelte es, abgefallene Arme und Beine in die Tonne für herrenlose Klamotten zu sammeln.
    Im Bistro war eine minderjährige Kuh im nabelfreien Top mit Schlaghosen schon beim Gläserwegstellen, aber sie schraubte für mich dann doch noch mal die Orangensaftfla sche auf. Es roch nach Rauchverbot, auch wenn die hübsche Kuh nicht nach Nichtraucherin aussah.
    »Na, zum ersten Mal hier?« Fritz Schiller stand plötzlich so dicht neben mir, dass ich seine Aura aus angeschwitztem Irish Moos und Nikotin roch. Sein Latinoblick drang tief in mein Fett- und Muskelgewebe. Der brauchte Frauen nicht erst auf die

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