Ganz oder Kowalski
nichts anderes übrig, als ihren Frust an den dunklen Ecken ihres Hauses auszulassen, in denen sich klammheimlich die Wollmäuse fortpflanzten. Nein, nicht ihres Hauses. Des Hauses ihrer Großmutter.
Sollte sie Gram am Telefon erzählen, dass sie und Sean sich getrennt hätten? Oder sollte sie damit besser warten, bis sie hier war?
Das war die Frage, die sie sich stellte, seit sie Seans Apartment am Tag zuvor verlassen hatte. Aber sie hatte noch immer keine Antwort darauf. Gram wäre traurig und würde sie trösten wollen. Doch das konnte sie nicht, wenn sie 2.464 km weit entfernt war.
Das Handy vibrierte in Emmas Gesäßtasche. Sie schaltete den Staubsauger aus und zog das Telefon aus der Tasche. Ein Bild von Lisa, das sie im vergangenen Sommer am Old Orchard Beach aufgenommen hatte, tauchte auf dem Display auf. Sie spielte ernsthaft mit dem Gedanken, das Handy stumm zu schalten. Normalerweise rief Lisa sie morgens nie an, da sie, Emma, für gewöhnlich arbeitete. Und soweit sie wusste, hatte Lisa keine Ahnung, dass sie einige Termine verschoben hatte, um sich Zeit freizuschaufeln und sich intensiv um das Haus zu kümmern, ehe Gram kam. Das hieß wiederum, dass etwas passiert war, und sie hatte das ungute Gefühl, dass es etwas mit Sean Kowalski zu tun hatte.
Nach einem tiefen Atemzug, der sie beruhigen sollte, was aber nicht klappte, nahm sie das Gespräch an. „Hallo, Lisa.“
„Hast du Sean ernsthaft gefragt, ob er zu dir zieht?“
Emma stöhnte und sank auf die Couch. „Ja, das habe ich.“
„Hat er dir die Tür vor der Nase zugeschlagen?“
„Nein. Er war sehr höflich und hat darauf geachtet, keine zu hektischen Bewegungen zu machen.“
„Ich glaube, seine Worte waren ‚vollkommen bekloppt‘.“
Autsch .
„Allerdings auch ‚heiß’“, fuhr Lisa fort. „‚Groß. Heiß. Vollkommen bekloppt.‘ So lautete seine Beschreibung.“
„Heiß“ war nicht schlecht. Doch wenn sie sich seinen Gesichtsausdruck ins Gedächtnis rief, bezweifelte sie, dass dieses „heiß“ heiß genug war, um „vollkommen bekloppt“ aufzuwiegen oder gar zu übertreffen. „Ich glaube, ich warte, bis Gram hier ist, um ihr dann zu sagen, dass mein Verlobter und ich uns getrennt haben.“
„Das ist doch Blödsinn. Wenn du behauptest, es wäre gerade erst passiert, wird sie sich fragen, warum du nicht völlig am Boden zerstört bist. Aber wenn du sagst, es wäre lange genug her und du wärst darüber hinweg, wird sie sich aufregen, weil du es ihr nicht erzählt hast.“
„Letzte Woche hat sie gemeint, sie würde sich darauf freuen, ihn kennenzulernen. Und ich habe gesagt, dass es ihm genauso geht.“ Sie brauchte irgendetwas, um ihren Kopf dagegen zu schlagen. „Wie bin ich nur in diese ganze Sache geraten?“
„Dein Mund arbeitet schneller als dein Hirn.“
„Danke.“
„Also, was denkst du über ihn?“, fragte Lisa und senkte die Stimme, als wollte sie lästern.
Es hätte kein Problem sein sollen, die Frage zu beantworten. Denn seit Emma am Vortag das Apartment verlassen hatte, hatte sie praktisch ununterbrochen über Sean nachgedacht. Außer, wenn sie sich das Hirn über ihre Gram zermartert hatte. „Ich weiß nicht. Groß, heiß und bedauerlicherweise nicht vollkommen bekloppt. Doch ich habe sein Gesicht ja schon vorher gesehen.“
„Fotos werden diesem Mann nicht gerecht. Selbst eine sehr glücklich verheiratete Frau wie ich kann das sehen.“
Nein, das tun sie wirklich nicht, dachte Emma. Ihr Blick wurde von dem verrückten Foto von Sean angezogen, das über dem Ohrensessel hing. Es war verrückt, weil er darauf eigentlich bei einem Familien-Barbecue zu sehen war und seinen Arm um Lisas Nichte Stephanie gelegt hatte, aber inzwischen jemand anders von dem Bild lächelte. Nachdem Gram nach Fotos gefragt hatte, hatte Lisa dabei geholfen, Emma an Stephanies Stelle in das Foto einzufügen. Emma wollte sich lieber gar nicht vorstellen, was Sean davon halten würde.
„Ich würde ihn nicht von der Bettkante schubsen“, gab sie zu, als Lisa noch immer in erwartungsvoller Stille auf eine Antwort wartete.
Vielleicht war es das Beste gewesen, dass er Nein gesagt hatte. Dass sie auf der Couch nächtigte, während Sean Kowalski nur ein paar Meter von ihr entfernt in ihrem Bett schlief, war theoretisch eine tolle Idee gewesen. Nachdem sie den Mann nun jedoch kennengelernt hatte, kam es ihr doch nicht mehr wie ein guter Plan vor, ihm im Dunkeln so nah zu sein, aber nicht das Bett mit ihm zu teilen.
Die
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